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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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massive Haarpracht. Hatte sich in den Bus gesetzt und war von Humboldt County, Kalifornien, nach Harvard gefahren, um dort Jura zu studieren, als die Glut der Hippiebewegung sich von flammendem Orange in Aschgrau verwandelte. Und so weiter. Ein waschechter Anwalt. Legte die Füße auf den Tisch. Verschränkte die Hände hinter dem Kopf, hinter seinen dichten Silberlocken. »Du hast Hunderte … Tausende von Dollar ausgegeben … um dich zu wehren. Sie geben nicht nach, Mann. Und dich frisst es auf, bei lebendigem Leib.«
    Kweku lachte traurig. Nicht die Personen, sie, die Familie, sondern ein
Es
, namenlos, gesichtslos. Das Monster.
    Die Maschine.
     
    So hatte er das Krankenhaus genannt, als er am Johns Hopkins Hospital anfing, weil er so beeindruckt davon war, wie gut das alles funktionierte. Wie es glänzte und funkelte, wie sauber und gut durchorganisiert alles war, wie chromfunkelnd, wie maschinenartig. Er war begeistert. Er fand es toll, seine Sachen morgens zu bügeln, auf einem Handtuch auf dem Tisch neben Badewanne, Herd und Spüle, seinen weißen Kittel, den kurzen Kittel, wie die Studenten ihn trugen. Fand es toll, die Höhle des Löwen zu betreten, die Augen groß vor Staunen.
    Er trat aus dem Aufzug und blieb kurz stehen, um den Maschinengeräuschen zu lauschen: ticken, piepsen, summen, psst. Um die Maschinengerüche einzuatmen: ätzend, desinfizierend, metallisch. Und um Maschinengedanken zu denken: säubern, schneiden, finden, zupfen, nähen, schnipp. Er kam sich vor wie ein Astronaut, der Astronautenweiß trägt und vor kurzem und wider Erwarten auf einem fremden Raumschiff gelandet ist. Der die Sprache inzwischen fließend beherrscht, aber den die Einheimischen noch nicht richtig kennen. Und später wie jemand, der zu der fremden Rasse konvertiert ist.
    Später in Boston, als er die Ausbildung abgeschlossen hatte und richtiger Arzt war, und zwar ein angesehener Arzt, da ging er durch die weißen, chromblitzenden Flure des Beth Israel und fühlte sich als Teil der Maschine und dadurch stärker. Er hätte es nie gewagt, dieses Gefühl seinen Kollegen zu beschreiben, weil sie seinen Stolz auf das Krankenhaus als mangelnden Stolz auf sich selbst gedeutet hätten: dass er sich immer noch als etwas Besonderes fühlte, ja, sogar überlegen, einfach dadurch, weil er hier war. Weil er Teil der Maschinerie war, einer so starken Maschine. Alles unter Kontrolle. Das Nettoergebnis der Umgebung – die audiovisuellen Eindrücke, die blitzende Sauberkeit des Operationssaals, die quietschenden Schuhe der Krankenschwestern – lag genau darin zu vermitteln, dass man hier alles unter Kontrolle hatte: die menschliche Schwäche, menschliche Emotionen, alle dazugehörigen Formen von menschlichem Chaos, Schmutz, Krankheit, Komplikationen. Das war der Grund, dachte er, warum man so riesige Kirchen baute und die Investmentbanken so monumental. Man wollte die Gläubigen blenden, einschüchtern. Und damit verbunden war eine entsprechende Arroganz. Die Maschine war Herr der Lage. Und deshalb war auch er Herr der Lage, weil er dazugehörte.
     
    Dann wandte sich die Maschine gegen ihn, griff an, verschluckte ihn, zermalmte ihn, spuckte ihn wieder aus, schwemmte ihn durch ein Abflussrohr.
     
    »Es war eine rechtswidrige Kündigung«, sagte er ohne große Empfindung, das tausendste Mal.
    Und Marty zum tausend-und-ersten Mal: »Das wissen wir.« Und bildete mit den Fingern ein Zelt auf dem Hügel seines Bauches. »Wir können es nur nicht beweisen.« Ein tiefer Seufzer. »Was ich, weiß Gott, unbedingt möchte. Was ich, weiß Gott, schon die ganze Zeit versuche. Du bist ein unglaublich guter Arzt, ein unglaublich guter Mensch.« Er tippte mit dem Fuß gegen einen riesigen Stapel Unterlagen. »Hast du eigentlich schon welche von diesen Charaktergutachten gelesen?«
    »Nein, hab ich nicht.«
    »Du kannst überall praktizieren.«
    »Ich bin rechtswidrig entlassen worden. Ich sollte dort praktizieren …« Kweku hörte sich selbst und verstummte. Er klang wie ein Teenager, ein junges Mädchen, deren Freund gerade mit ihr Schluss gemacht hat und die trotzdem zurück will in seine Arme.
    Marty räusperte sich. »Hör zu. Sie haben scharfes Geschütz aufgefahren. Scheiße. Du warst da. Es stand zu viel auf dem Spiel. Die Cabots haben so viel Macht, da mussten sie etwas unternehmen, also haben sie dich gehen lassen, stimmt’s? Aber du hast dich gewehrt. Nur konnten sie leider nicht einfach sagen: ›Ja, okay, wir haben Mist gebaut,

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