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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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unzähligen Bewerbungsgesprächen: Stipendium, Medizinstudium, Facharztausbildung, Hypothek, Darlehen.
    Ein Raum, in dem Gericht gehalten wurde.
    Mit der entsprechenden Standardausstattung: poliertes Holz, Perserteppich, ungelesene Bücher mit rotem Rücken, so viele wie möglich, eine Maximalzahl dunkelroter Bücher, die keiner las, schwere Vorhänge, durch die helles, hoffnungsloses Licht sickert, Farbwirbel, festliche Farben, Pflaumenblau, Senfgelb, Weinrot. Und weiße Gesichter. Die Alibifrau. Eine Asiatin.
    Sie sprach.
    »Nach Überprüfung sämtlicher Fakten betreffend die Blinddarmoperation von Mrs Cabot und die Klage, die von den Cabots gegen Sie deshalb geführt wird, ist dieses Gremium zu dem Schluss gekommen, dass Sie, obwohl Sie ein herausragender Chirurg sind, versagt haben …«
    Aber Kweku konnte sie nicht hören.
     
    Er konnte nur Fola hören – eine Dreiundzwanzigjährige, die das Schreiben, dass sie zum Jurastudium zugelassen worden war, gerahmt an die Wand hängte und die einen Platz an der University of Georgetown bekommen hatte und Olu
in utero
trug – er hörte Fola sagen: »Ein Traum reicht für uns beide.« Sie folgte ihm nach Baltimore und verschob ihr Jurastudium und brachte das gemeinsame Baby zur Welt, ohne einen Penny in der Tasche, verkaufte Blumen auf dem Gehweg und duschte in der Küche, damit einer von ihnen beiden seinen Traum verwirklichen konnte. Genau zwanzig Jahre lagen zwischen damals und diesem Augenblick jetzt, alles aufgebaut auf dem Fundament eines Traums »ein Chirurg, der seinesgleichen sucht«, ein ghanaischer Carson und so weiter, der Sohn, begabt in Naturwissenschaften, der es schaffen kann – und er hat es geschafft. Er hatte die Sache durchgezogen, mit dem ganzen Drum und Dran: Auszeichnungen, Klavierstunden, riesiges Backsteinhaus, astronomische Gebühren für die Prep School, die fürs beste College vorbereitet, und jeden Morgen ruft er:
»Tschüs!«,
um Viertel nach sieben, in seinem OP -Kittel und dem weißen Mantel. Er hatte seine Seite der Vereinbarung erfüllt: sein Erfolg als Gegengabe für ihr Opfer. Zwei Wörter, die sie nie laut aussprachen. Niemals das Wort »Erfolg«, denn was war der Maßstab ( US -Dollar? Gerahmte Diplome?), und wie viel war genug? Niemals das Wort »Opfer«, denn es klang immer feindselig, wenn sie es aussprach, und absurd, wenn er es versuchte, als hätte er nicht die geringste Ahnung. Alles war gebaut auf dem Sand dieser Vereinbarung, aber sie wagten es nie, das Thema anzuschneiden, nachdem Fola ihren Satz gesprochen hatte: »Ein Traum reicht.« Wenn sie sich stritten, dann stritten sie sich drum herum, über Windeln oder das Geschirr oder ein Abendessen mit Kollegen (für ihn Teil des Jobs, Zeitverschwendung für sie). Aber sie wussten es beide. Oder er wusste es jedenfalls: dass ihr Opfer endlos war. Und weil das Opfer kein Ende nahm, musste das auch für den Erfolg gelten.
    Er würde es durchziehen – wenn er es irgendwie schaffte, und dafür betete er. Fast beschämt gestand er sich ein, dass er sich am allermeisten wünschte, der pan-nigerianischen Prinzessin würdig zu sein. So hatten sie Fola immer genannt an der Lincoln University, diese gebildete junge Frau, die dem Krieg von 1967 entkommen war, mit ihren Schlaghosen und der Lücke zwischen den Schneidezähnen, so viel klüger und sexyer als alle anderen, sogar als er, eine Prinzessin unter Proleten. Er wollte sie nicht dadurch überzeugen, dass er Erfolg hatte, sondern dadurch, dass er ein Erfolg
war
. Damit er Fola verdiente, damit es sich für sie lohnte, musste er erfolgreich bleiben.
     
    Deshalb konnte er die Wörter, die dann folgten, buchstäblich nicht begreifen – falls es überhaupt noch Wörter gab nach »Sie haben versagt«.
     
    Dann elf Monate vor Gericht der Versuch, zu beweisen, dass genau das nicht stimmte. Zu beweisen, dass er
nicht
versagt hatte, dass er grundlos gefeuert worden war. Denn so war es. Sie hatte zu lang gewartet, um ins Krankenhaus zu gehen, wo man zu lang gebraucht hatte, um zu entscheiden, wie man vorgehen sollte. Eine siebenundsiebzigjährige Raucherin, mit einem geplatzten Blinddarm und einer Blutvergiftung, seit Tagen. Keine Chance. Jane »Ginny« Cabot – Schirmherrin wissenschaftlicher Forschung, Mitglied der gehobenen Gesellschaft, Ehefrau, Mutter, Großmutter, Alkoholikerin und Freundin – würde noch vor dem nächsten Morgen sterben, ob in einem Bett im Beth Israel oder in ihrem Bett in Beacon Hill. Da gab es

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