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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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wir haben dich vor den Bus geworfen.‹ Obwohl sie genau das getan haben. ›Weil du schwarz bist. Stimmt’s?‹ Dann kommt als Nächstes: Ist das Beth Israel rassistisch? Und weil wir hier in Boston sind, bedeutet diese Frage … bummmmm!« Ein Geräusch und eine Geste, die eine Explosion andeuten. »Die ganzen Krankenhäuser sind miteinander verbunden. Es wird sehr schwierig sein, hier eine Arbeit zu finden. Aber wir leben in einem verdammt großen Land. Zieh mit den Kindern nach Kalifornien …« Und so redete er weiter, aber vage, halbherzig. Auswendig gelernt.
    Er hatte das alles schon so oft gesagt. Kweku hatte das alles schon so oft gehört. Kweku hatte das, was er als Antwort sagen würde, alles schon so oft gesagt. Sie waren wie ein zerstrittenes Paar, das auf die Scheidung zusteuert und, zu müde, um sich neue Vorwürfe auszudenken, trotzdem weiter streitet und die gleichen alten Sätze wiederholt, aus Angst, dass selbst ein kurzer Augenblick des Schweigens bedeuten würde, dass man sich geschlagen gibt.
    Marty verstummte.
    Kweku fühlte nichts. Keine Panik, wie er es eigentlich erwartet hätte, angesichts der Summe, die er ausgegeben hatte. Nur Benommenheit, fast schon angenehm. Er schaute sich im Büro um. Einer der besten Anwälte in ganz Boston, und der Raum sah so beschissen aus. Ein düsteres Büro mit niedriger Decke, mit Teppichboden und billigen Plastikjalousien, hinter einer überbewerteten Einkaufszeile. Kweku starrte zu dem Fenster hinter Marty, das genau dem Fenster vorne entsprach. Keine Pflanzen. Goldene, gigantische Basketball-Trophäen und Briefbeschwerer, Steine, in der Mitte aufgebrochen, so dass im Inneren rötlichviolette Kristalle sichtbar wurden. Verkrusteter Amethyst – Folas Geburtsstein –, der das Licht brach.
    Kweku schaute an den Edelsteinen vorbei, zu den Bäumen.
     
    Der Blick von Martys Büro ging auf den Parkplatz hinter der Einkaufszeile. Der Platz grenzte an ein deplatziert wirkendes kleines Wäldchen aus immergrünen Bäumen (beziehungsweise an das, was noch übrig war. Eigentlich war es gar kein Wäldchen, sondern eine Gruppe Überlebender, fünf Tannen, die von der Kettensäge verschont worden waren). Auf diese Bäume starrte Kweku. Die überhaupt nicht zur Umgebung passten. Die früher Teil eines richtigen Waldes gewesen sein mussten, grün und nicht so farblos grau, ein Teil ihres Waldes, vor dem Beton, v. d. B., ihre heimatliche Landschaft. »Die Bäume sind die Ureinwohner Amerikas.« Er merkte erst gar nicht, dass er das laut gesagt hatte. Seine Augen streiften Marty, der ihn besorgt musterte, so wie man einen Verrückten mustert, der endgültig durchgedreht ist.
    »Die Bäume sind die Ureinwohner Amerikas?«, wiederholte Marty. »Ist das ein Code?«
    »Dieses Land ist ihr Land.« Kweku zeigte mit dem Finger. »Da, hinter dir – ach, schon gut.«
    Er verstummte.
    Marty wechselte seine Position, nahm die Füße vom Schreibtisch, streckte die Arme aus, strich sich über die Haare, schlug mit der Hand auf eine Akte. »Also, was willste machen, Mann? Ich mache alles, was du sagst. Ich meine – immerhin bin ich derjenige, dem du diese Hundert … Tausende … von Dollars bezahlt hast.« Ein trockenes Lachen. »Aber wenn du meine professionelle Meinung hören willst – das ist das Ende der Fahnenstange.«
    Kweku wollte keine professionelle Meinung hören. Er wollte sein Land zurück, seinen Wald, sein Grün. Wortlos erhob er sich und verließ das Büro. Ging ins Vorzimmer, an der Sekretärin vorbei, dem Geplätscher der Tasten.
    »Dr. Sai!«, rief sie ihm hinterher. »Ihre Rechnung …« Aber Marty bremste sie, an den Türrahmen seines Büros gelehnt. »Lass ihn gehen.«
    Kweku ging immer weiter. Aus dem Gebäude (leises Gebimmel), den Gehweg entlang, zu dem Volvo, den er im Schatten geparkt hatte.
Lass ihn gehen, lass ihn gehen, lass ihn gehen, lass ihn gehen.
Das war alles, wofür diese ganzen Weißen gut waren: ihn gehen zu lassen.
    * * *
    »Ich fürchte, wir müssen Sie gehen lassen.«
    Schweigen, am ganzen Tisch.
    So lang.
    Ein ovaler Tisch mit kompakten-runden Sesseln, die aussahen, als würden sie sich um die eigene Achse drehen, wie bei einem Tassenkarussell auf dem Jahrmarkt. Mit einer Halbkreis-Armlehne und Lederpolsterung, rot, mit Messingbeschlägen, und die Krankenhaus-Treuhänder. Ein Raum im Krankenhaus, den er noch nie betreten hatte, in den oberen Stockwerken, wo sich die Büros befanden, aber der Raum erschien ihm sofort bekannt, von

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