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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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keinen Zweifel. Der einzige Grund, weshalb Kweku die Operation überhaupt versuchte, war, dass die Cabots den Präsidenten des Krankenhauses angerufen hatten, einen Freund der Familie, um ihm sehr höflich mitzuteilen, dass angesichts ihrer Spenden ein allerletzter Rettungsversuch durch eine Operation doch wohl nicht zu viel verlangt sei, oder? Es war nicht zu viel verlangt. Und sie wollten den allerbesten Operateur. Der Präsident erwischte Kweku, als dieser gerade nach Hause gehen wollte.
    Die Cabots musterten Kweku eingehend, dann schauten sie wieder den Präsidenten an. »Können wir kurz unter vier Augen …«, sagten sie, wieder sehr höflich, und gingen hinaus auf den Flur. Kip Cabot, schwerhörig, sprach zu laut für die Akustik. »Aber er ist ein …«
    »Ein erstklassiger Chirurg. Der beste, den wir haben.«
    Der Hausarzt der Cabots, arrogant, ein Allgemeinmediziner (Gehaltsempfänger, ein gekaufter Arzt, braungebrannt, graumelierte Haare) blieb bei Kweku im Büro, während Kip draußen auf dem Flur weiterredete. »Und wo haben Sie Ihre ›Ausbildung‹ gemacht?« Anführungszeichengebärde.
    »Im Dschungel. Bei den wilden Tieren«, antwortete Kweku, ebenfalls höflich. »Gelehrt haben dort Schimpansen. Großartige Lehrmeister. Wer hätte das gedacht?«
    In dem Moment kamen die Beratungsteilnehmer zurück, alle mit unnatürlich geröteten Gesichtern, in verschiedenen Nuancen von Pink – aber fest entschlossen. Egal, was er sonst noch war, Kweku war auf jeden Fall fähig zu operieren. Jemand klopfte ihm auf die Schulter. Kweku wandte sich an Kip. »Nach meiner professionellen Meinung, Sir, ist es zu spät für den Eingriff. Aber je länger ich hier stehe, desto nutzloser werde ich.«
    Die Cabots wollten seine professionelle Meinung nicht hören.
    Sie wollten, dass er sich für die Operation vorbereitete.
     
    Stunden, eine blutige Angelegenheit, dieser Versuch, das Leben der Frau zu retten. Der Präsident als Beobachter auf der Galerie oben (entschuldigte sich sehr betreten: »Ich habe den Cabots mein Wort gegeben«), aber eine meisterhafte Operation, wie immer. Sein Bestes. Säubern, schneiden, finden, zupfen, nähen, schnipp. Sich das Blut vom Gesicht wischen. Bis eine erschöpfte Krankenschwester es verkündete – Eintritt des Todes drei Uhr morgens – und dann ging er, verließ das Gebäude, stieg in sein Auto, seufzte tief.
    Er weiß bis heute nicht, wie er es geschafft hat, nach Hause zu fahren. Das Nächste, woran er sich erinnert, ist, dass er auf der Couch im Wohnzimmer aufwacht, angezogen, ausgerechnet dort, mit der Johnnie Walker Gold-Flasche, die Pantoffeln irgendwie an seinen Zehen baumelnd, der unerklärliche Geruch von Kiwi-Erdbeere in der Luft und das Gefühl, dass sich irgendwo irgendetwas verändert hatte.
     
    Dann elf Monate so tun, dass das nicht stimmte.
    Dass nichts sich verändert hatte.
    Jeden Morgen aufstehen, aus dem Haus gehen ( OP -Kittel, Mantel, Aktentasche), wie der Protagonist aus Singapur in diesem Film, den er nie gesehen hat, über den er aber immer redete, als hätte er ihn gesehen, weil er alle Kritiken gelesen hatte und es bei Chirurgen Mode war, asiatische Filme zu sehen. Den Besprechungen zufolge wird der Mann von seiner Bank gefeuert, aber weil er sich schämt, sagt er seiner Familie nichts, sondern tut so, als würde er immer noch zur Arbeit gehen: steht morgens auf, zieht sich an und sitzt dann in kleinen Parks in der Gegend, um Jobanzeigen zu studieren.
    Genau so.
    Nur ohne Parks.
    Er ging, fuhr zu Kleinman & Kleinman, um den neuesten Stand zu erfahren, Langzeitparkplatz, dann zu Fuß über die Brücke zur Juristischen Fakultät von Harvard. Dort zeigte er seinen eindeutig falschen Ausweis vor – den er Martys schwarzem Jahrgangskollegen und Tennispartner Aaron Falls zu verdanken hatte –, hielt ihn dem eindeutig unterbezahlten Sicherheitsmann der juristischen Bibliothek unter die Nase, einem Latino, dessen Aussprache jeden Tag denselben Witz produzierte: »Guten Morgen, Mr Fallsch.«
    Bis zwei Uhr im Magazin, um Präzedenzfälle zu recherchieren: widerrechtliche Entlassung, Diskriminierung, Kunstfehler. Mittagspause. Dann weiter mit der Lektüre, bis zum Abend, wenn er zu Fuß nach Boston zurückging, der Fluss flüssiges Gold in der Abenddämmerung.
    * * *
    Jetzt ließ auch Marty ihn gehen.
    Er ließ den Motor an.
    Aber er konnte nirgends hin.
    Er musste lachen. Er konnte nirgends hin! Er lachte lauter. Er konnte nicht einmal
so tun
, als ginge er

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