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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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Backsteine ersetzen, Holzleisten restaurieren, Fensterrahmen streichen. Als er starb (Diabetes), erbten die Söhne das Haus. Der Ältere sagte, leider betrage die Ermäßigung jetzt null Prozent, mit sofortiger Wirkung, angesichts der Kosten für die Bestattung nächste Woche, zu der »Quaker« gemeinsam mit »Foola« und den Kindern selbstverständlich eingeladen seien. Der Jüngere – der Gutaussehende, Liebling des verstorbenen Vaters, ein Charmeur und Drogendealer, wovon sein Vater allerdings nichts geahnt hatte – nahm Kweku bei besagter Bestattung, einer bescheidenen Bestattung, beiseite, um ihm mit sanfter, fast begütigender Bassstimme leise mitzuteilen, dass doch angesichts ihrer jeweiligen Arbeitsgebiete – seriöse Arbeit, gar nicht so verschieden, seine und Kwekus, schließlich verkauften sie beide etwas, wodurch die Menschen sich »besser fühlten« –, dass also angesichts dieser Tatsache eine neuerliche Ermäßigung der Miete durchaus im Bereich des Möglichen wäre, falls Kweku eine entsprechende Menge an Opiaten zugänglich machen könne.
    Jetzt war das Haus ruiniert.
Eine Ruine
, dachte Kweku, wie ein Tempel am Straßenrand, geborstene Säulen, jede Menge Müll. Aber keine bleibende Erinnerung an das Streben der Gläubigen, sondern eher ein Hinweis auf die Nutzlosigkeit allen Strebens. Ein Gesicht mit fehlenden Zähnen, zwischen ähnlichen Gesichtern. Ein verfallendes Monument für Charlies Lebenswerk: Geliebter, Ehemann, Vater, Busfahrer, dann Hausbesitzer, dann Witwer, dann nur noch Statistik (Diabetiker, schwarz, ausgezeichnet durch seine Brunchs).
    Wie haben wir da gelebt
, dachte Kweku.
Alle sechs?
Und im hinteren Teil, wo sogar das Sonnenlicht irgendwie schmutzig aussah? Er wusste es nicht mehr. Ein Auto hupte. Er drehte sich um. Er blockierte den Verkehr. Also warf er noch einen kurzen Blick auf das Haus, das zu ihm zu sagen schien:
Geh
. Er wollte nicht dahin gehen, wo er hinging, vorwärts, aber er konnte die Bewegung nicht aufhalten, konnte nicht hier bleiben und auch nicht zurückgehen. Er nickte dem Haus zu und fädelte sich wieder in den Verkehr ein. Im Rückspiegel fehlende Backsteine. (Er sah das Haus nie wieder.)
     
    Er fuhr zur Kanzlei Kleinman & Kleinman und parkte ein kleines Stück vom Eingang entfernt. Es war ein freistehendes Gebäude mit einem riesigen Vorderfenster, der Sims vollgestellt mit wuchernden Pflanzen. Die Sekretärin, eine Frau über sechzig, saß mit dem Blick zu diesem Fenster und schaute immer wieder müde durch die Farnwedel hindurch und hinaus auf die Straße. Und tippte dabei weiter. Sie tippte ohne Pause. Hörte nie auf zu tippen. Ihre geschwollenen Finger waren wie wild gewordene Roboter.
    Kweku wusste, dass sie, wenn er vor dem Fenster parkte, immer durch die Blätter spähte und seinen Wagen erkannte. Das gab ihr gerade genug Vorsprung, um diesen mitleidigen Blick aufzusetzen, sobald er durch die Tür kam. Er hasste diesen Blick. Nicht das ernste Lächeln des Mitgefühls, auch nicht die gerunzelte Stirn der Empathie, sondern die zusammengekniffenen Augen des Mitleids. Als könnte sie dadurch, dass sie die Augen zusammenkniff, ihn weniger jämmerlich machen, die Konturen verwischen, die Einzelheiten seines Gesichts und seines Schicksals verschwimmen lassen. Während sie besorgt auf der Unterlippe kaute – und dabei immer weiter tippte. Also doch nicht so furchtbar besorgt.
    Das Regentropfen-Geplätscher der Finger auf den Tasten.
    Er ging den Gehweg entlang und betrat das Gebäude. Eine Glocke bimmelte leise, als er die Tür öffnete. »Ich bin’s wieder«, sagte er, als sie hochblickte und die Augen zusammenkniff.
    »Sie sind’s wieder«, sagte sie mit ihrem lippenkauenden Lächeln. »Marty erwartet Sie schon.«
    Kweku versuchte ruhig zu atmen. Marty kam nie früh ins Büro, er ließ die Leute gern warten. Wenn er Kweku erwartete, verhieß das nichts Gutes. Der Kameramann erschien und begann, seine Einstellung vorzubereiten. Szene: Angesehener Arzt erhält eine schreckliche Nachricht. »Ja, gut, also dann.«
    »Sehr gut.«
    »Ich kann einfach …?«
    »Ja, gehen Sie einfach rein.«
    »Natürlich.« Kurzes Zögern. »Vielen Dank.«
    Immer weiter tippend. »Viel Glück.«
     
    Marty hielt sich nicht mit mitleidigen Blicken auf. »Hör gut zu, Bruder. Wir haben einen guten Kampf gekämpft.« Ein abgetakelter Hippie, der in Massachusetts Anwalt wurde, ein Anwalt, an den sich auch Anwälte wenden, einsneunzig, massive Schultern, massiver Bauch,

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