Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Fleisch und Blut. Also wird er seine Pantoffeln nicht holen. Er wird Kaffee kochen. Es kann noch nicht vier Uhr morgens sein – was hat ihn geweckt? – er weiß es nicht mehr – was für ein Tag ist heute? Sonntag. Kofi hat seinen freien Tag. Keine Nägel werden mehr eingeschlagen. Nur das Schweigen und die Stille. Alleinsein und Ruhe. Er denkt: Eigentlich gefällt es ihm, dieses seltsame Gefühl von Atempause. Der Morgen schwebt zwischen Dunkelheit und Tagesanbruch, und er schwebt mit ihm, ziellos im Grau. Zu spät, um wieder einzuschlafen, zu früh, um den Tag zu beginnen. Einen Augenblick Pause. Kaffee wäre gut, denkt er.
Und will in die Küche gehen, aber da sieht er es, undeutlich nur, aus dem Augenwinkel. Man kann nicht sagen, was aus ihm geworden wäre, hätte er es nicht gesehen, sich nicht daran erinnert, nicht daran gedacht: ihr Gesicht. Wäre er von der Glasveranda durch die Tür ins Esszimmer gegangen, durch das Esszimmer in die Küche, um sich einen Mocha mit Toast zu machen. Höchstwahrscheinlich hätte er die Enge in der Brust und die Atemnot bemerkt und sofort gewusst:
los!
Hätte das Heparin im Medizinschrank gesucht – ohne Hast, hochkonzentriert –, wäre dann zum Telefon gegangen. Hätte seinen Freund Benson angerufen – auch ein Ghanaer vom Hopkins Hospital, der jetzt in Accra eine edle Privatklinik leitet (und der ihn erst gestern angerufen und eine komische Nachricht hinterlassen hat, etwas in der Art, dass er Fola hier in Ghana gesehen habe, was nicht stimmen kann). Hätte Benson erreicht und sich mit ihm in der Klinik verabredet. Hätte seine Turnschuhe angezogen, die an der Tür auf das Joggen warteten. Hätte, während er die Schnürsenkel band, versucht sich zu erinnern, wann er die ersten Stiche in der Brust gespürt hatte (zu schön manchmal). Hätte auf die Uhr geschaut. Dreißig Minuten. Null Problem. Wäre selbst in die Klinik gefahren, ohne Ama, die nicht fahren kann. Und so weiter.
Hätte es gemerkt.
Und Bescheid gewusst.
Und wäre gegangen.
Aber er sieht dieses Ding, undeutlich, leuchtend türkis und schwarz.
Lässt sich auf einer leuchtend rosaroten Blüte nieder. Da fällt ihm der Name ein, als er das Gesicht der Blume sieht.
»Bougainvillea«, hört er Fola sagen.
»Klingt wie eine Krankheit. Der Patient wird vorgestellt mit Bougainvillea.«
»Sei still.« Sie saugte an ihren Zähnen.
Aber als er sie anschaute, lachte sie. An der Spüle stehend, die Hände umgeben von Blüten, klein, herrlich, magenta. »Unglaublich schön«, sagte er.
»Ja, sind sie.«
»Nein. Du.«
Sie lachte wieder, wurde verlegen. »Sei still«, aber dieses Mal leise. Ein Lächeln erschien. Im Gegenlicht der Sonne, die hinter ihr durchs Fenster schien. Er hätte sie gern an sich gedrückt. Sah sie stattdessen nur an.
Warum habe ich dich verlassen?
, denkt er, ohne Vorwarnung, und der stechende Schmerz lässt ihn von der Schwelle zum Rasen taumeln. Wieder protestieren seine nackten Sohlen – die seit Jahren nichts anderes kennen als das Leder der Pantoffeln, Baumwollsocken, Duschkabine. Die Kälte, die Nässe, die spitzen Grashalme. Er registriert das alles, versucht, den Gedanken wegzudenken, zu atmen. Aber die Wörter geben nicht nach, so wenig wie die Atemnot verschwindet. Nur das
Warum habe ich dich verlassen?,
ein Song, auf
repeat
(wobei die Brücke in der Ferne noch nicht zu hören ist: zu früh), während er jetzt zusammenbricht, keuchend, vom Schmerz in die Knie gezwungen. »Ich weiß es nicht«, sagt er laut und zu niemandem, aber er lügt. Er schließt die Augen. In der Dunkelheit sieht er ihr Gesicht. Die Stirn gerunzelt. Ihr Mund nach unten verzogen. Die Stimme einer Frau.
Ich weiß, ich weiß, ich weiß
.
Also ist es so weit, stimmt’s? Hier, barfuß und atemlos, allein in seinem Garten, keine Kraft mehr, um zu rufen? Nicht, dass es etwas ändern würde. Er ist hier im Garten, sie ist dort im Schlafzimmer, abgeschnitten von der Welt. Der Houseboy ist bei seiner Schwester in Jamestown. Der Zimmermann-Gärtner-Mystiker kommt morgen. Wer würde ihn rufen hören? Streunende Hunde. Die Bettler. Und was würde er rufen? Dass es endgültig zerbrochen ist? Nein. Er weiß, dass es kein Zurück mehr gibt.
Das letzte Mal, dass er sich so gefühlt hat, war bei Kehinde.
Zwölf
Wieder ein Krankenhaus, 1993 .
Spätnachmittag, Frühherbst.
Die Vorhalle.
Fola hat jetzt ein Stück die Straße hinunter einen gutgehenden Laden, nachdem sie letztes Jahr von dem
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