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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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Verkaufsstand beim Brigham weggegangen ist. Die geborene Unternehmerin, eine typische Nigerianerin. Sie hatte schon ihr eigenes kleines Geschäft, als sie noch zur Schule ging, hatte Blumen an einer Ecke verkauft, ehe sie die Zulassung für einen Stand in der Lobby des Krankenhauses erhielt: Nelken, Schleierkraut. Als er mit der Ausbildung fertig war und alle nach Boston zogen, begann sie wieder von vorn, auf dem Gehweg: mit dem Snack-Wagen (Falafel) in der beißenden Kälte, dann die Lobby des Brigham, jetzt ein selbständiger Laden.
    Sadie, fast vier Jahre alt, in weißen Strumpfhosen und rosa Schläppchen, macht
demi pliés
in ihrem Kurs bei Paulette.
    Olu, letztes Highschool-Jahr und ein sicherer Kandidat für Yale, bemüht sich hartnäckig, seinen eigenen Cross-country-Rekord zu brechen.
    Taiwo, dreizehn, am Steinway im Arbeitszimmer, bemüht sich hartnäckig, Rachmaninoffs
Prélude cis-Moll
zu spielen, während Shoshanna, ihre Lehrerin, eine ehemalige israelische Soldatin, über den Rhythmus des Metronoms hinweg ihre Anweisungen bellt: »Schneller!
Da
! Schnell!«
    Und Kehinde in seinem Kunstkurs – Fola hatte darauf bestanden, dass er den Kurs am Museum of Fine Arts besucht, trotz der astronomischen Kosten, drei kurze Stationen mit der Green Line, ein Stück die Huntington Avenue hoch. Wo Kweku ihn nach der Arbeit abholen sollte.
     
    Nur dass Kweku gar nicht zur Arbeit ging.
    Er verabschiedete sich mit einem »Tschüs!« wie jeden Morgen, in seinem OP -Kittel und dem weißen Mantel, Viertel nach sieben, während Olu auf die Fahrgemeinschaft wartete und die Zwillinge in der Essecke ihre Haferflocken löffelten und Fola Sadies Haare flocht und Sadie Lucky Charms aß und das Radio laut lief. »Tschüs!«, antworteten sie im Chor. Drei tiefe Altstimmen, ein Bass, Sadies Sopran-
»Tschüüüüüüs!«
mit einer Sekunde Verspätung. Kweku erwischte gerade noch die sich schließende Haustür – wie jemand, der zu spät dran ist und in einen Zug springt, den er beinah verpasst hätte.
    Er stieg in den Volvo und fuhr rückwärts die Einfahrt hinunter. Schob die Kassette hinein, die schon im Kassettenspieler wartete. »Kind of Blue«. Langsam fuhr er die Straße hinunter und hörte dabei Miles Davis. Das gelb-orangene Laub, ein Genuss für die Augen. Gold in Mengen. Im Rückspiegel sein palastartiges Backsteinhaus. Das prachtvollste Ding, das er je besessen hat, demnächst zum Verkauf freigegeben.
     
    Er fuhr um den Jamaica Pond herum.
    Er fuhr unter der Überführung durch.
    Er fuhr zu ihrem alten Haus in der Huntington Avenue, drosselte das Tempo, um es anzuschauen. Das alte Haus erwiderte seinen Blick. Ein Fenster zersplittert, fehlende Backsteine, auf der Treppe Müll. Es sah aus wie ein Gesicht mit fehlenden Zähnen und nur einem Auge. Mr Charlie, der frühere Besitzer, hätte sich im Grab umgedreht. Wie hatte er auf jede Einzelheit geachtet! Kweku mochte ihn sehr. Ein schwarzer Amerikaner, aus den Südstaaten, mit dem entsprechenden Akzent, und er humpelte. Über ein Jahr, bevor sie dort einzogen, hatte er seine Frau Pearl verloren, aber ihr Mantel hing noch immer an einem Haken im Flur. Er hatte ihnen bei der Miete 25 % Ermäßigung gegeben, weil Fola sich im Frühjahr um Pearls verwaiste Blumenkästen kümmerte und weil er, Kweku, ihm kostenlos medizinische Ratschläge gab und weil sie »gute, ehrliche Leute« waren.
    Kweku begrüßte ihn immer mit dem ghanaischen
Ey Chalé!
, worauf Mr Charlie jedes Mal antwortete: »Erzählen Sie mir die Geschichte doch noch mal.« (Die Geschichte: In den vierziger Jahren nannte man die Briten, die überall in Ghana verstreut waren, einfach Charlie, alle miteinander, ein generisch passender Name für weiße Männer. Ghanaische Jungen ahmten das
Hey Charlie!
als Begrüßung nach, und mit der Zeit wurde
Chalé
daraus, oder jedenfalls hatte Kweku es so gehört.) Aber der Mann konnte noch so sehr darauf beharren, dass seine Mieter ihn mit dem Vornamen anredeten – sie schafften es einfach nicht, weil er und Fola viel zu gefangen waren in den afrikanischen gerontokratischen Traditionen. Mr Charlie wollte aber auf keinen Fall mit »Sir« oder »Mr Dyson« angeredet werden. (»Mr Dyson war mein Daddy, der Bastard, möge er in Frieden ruhen.«) Daher: »Mr Charlie«.
    Mr Chalé.
    Hatte einen Bus gefahren. Bereitete jeden Sonntag nach der Kirche ein Brunch für seine Söhne zu und verteilte sie dann auf verschiedene Reparatur-Projekte im Haus: Türen neu einhängen,

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