Diese Dinge geschehen nicht einfach so
die Upper East Side), eine dieser extrem hübschen Pillenfresserinnen, mit denen sie aufs College gegangen war (staksige Knochen, verwuschelte Haare, verschmierter schwarzer Lidstrich) und nicht sie, die Überfliegerin, die nur so tat, als wäre sie eine Verführerin, die Ex-Streberin in den Schuhen eines Luders. Es war alles Show, die Vintage-Mode und die American Spirit-Zigaretten, die geistreichen Schnellfeuerbemerkungen und der implizierte Sexappeal, mit auswendig gelernten Sätzen und scharfen Kostümen und langweiligen Nebendarstellern; sie spielte nur mit Sex, hatte aber keine Ahnung von Liebe. Da war
Das, was in Lagos passiert ist
, und danach die unzähligen Begegnungen mit gierigen männlichen Freunden, aber so wie jetzt war es noch nie gewesen, nie Leidenschaft (und sogar noch Bewunderung), die Show, die plötzlich lebendig wird, greifbar, Fleisch geworden. Aber was konnte sie sagen?
Ich weiß nicht, was ich mache
? Und was konnte sie Dekan Rudd antworten, als er sich umdrehte, ihre Wange berührte, merkte, dass sie nass war, und flüsterte: »Nicht weinen, Taiwo« und ähnlich süße Worte?
Sie stand unvermittelt auf und ging ins Bad. Machte das Licht nicht an. Stellte sich vor den Spiegel. Da stand sie, nackt und Bestätigung suchend, eine Hausaufgaben-Macherin und Lob-Verdienerin, die unbedingt ihre frühere Rolle als allgemeiner Liebling wieder haben wollte, wodurch sie die Richter, die Jurymitglieder verwirrte, wer immer sie sein mochten. Ihr Körper war wie immer nach dem Sex ein Fremder, ihre langen, schlaksigen Gliedmaßen mit der idealen Muskelspannung, angeboren,
ein guter Körper
, hatte man ihr schon öfter versichert, aber sie glaubte es nicht, sie konnte es auch nicht richtig sehen, schon gar nicht nach dem Sex. Jetzt wirkte ihr Körper nur funktional, ein guter Gebrauchsgegenstand. Ein Mittel zum Zweck, auch wenn sie nicht wusste, zu welchem Zweck. Sie dachte an ihre Schwester, die sich nach so einem Körper sehnte. Eigentlich war es zum Lachen, wie diese Dinge liefen, eine Ironie des Schicksals: dass sie, Taiwo, die Modefigur geerbt hatte (und ohne jede Anstrengung behielt), die Sadie unbedingt haben wollte – und dass sie diese Figur von Fola hatte, die aus Angst wegen des geringen Geburtsgewichts ihr Baby verhätschelt und überfüttert hatte, bis Sadie krank wurde. (Die Störung. Nie ein Thema. Obwohl es alle wussten. Wenn sie könnte, würde sie sagen: »Hier, Sadie, nimm meinen Körper. Ich will ihn nicht. Ich habe ihn noch nie gemocht. Ich wollte ihn gar nicht haben.«) Reine Glückssache. Eine Kuh, die in Indien oder in Gary, Indiana, geboren wurde. Wem konnte man da Vorwürfe machen? Der vergötterten Kuh? Und doch erlebte sie genau das. Bekam Vorwürfe. Wurde begehrt und bekam Vorwürfe, oder jedenfalls fühlte es sich für sie so an, und sie suchte weiter nach dem, was fehlte. Sie dachte an Dr. Hass mit dem Hanffaserschal, grob, türkis. »Sie müssen mich nicht beeindrucken«, hatte sie neulich gesagt, sich in ihrem Stuhl zurückgelehnt und die Brille hochgeschoben, um ihre Klientin anzustarren, ein seltsames, freundliches Starren.
»Das ist mir schon klar«, hatte Taiwo gewitzelt und dazu heiser gelacht, ein Lachen, das selbst in ihren Ohren falsch klang, während sie sich, genervt von der Bemerkung, anders hinsetzte und aus dem Fenster blickte. »Ich hab Sie ja schon beeindruckt. Immerhin behandeln Sie mich kostenlos, stimmt’s?«
»Ja, das stimmt«, sagte Dr. Hass. »Und warum mache ich das wohl? Was denken wir? Wegen Ihres ungewöhnlichen Hintergrunds? Wegen Ihrer großartigen Leistungen? Ihrer phantastischen Intelligenz? Oder wegen Ihres sagenhaft hübschen Äußeren?«
Wieder lachte Taiwo, aber diesmal tat es weh. Sie zuckte die Achseln, rieb sich den Ellbogen. »Sie haben mich erwischt«, sagte sie. Sie schaute auf die Uhr, zu den eingebauten Bücherregalen, dem O’Keefe-Druck, »Cup of Silver Ginger«. Dann wieder zum Fenster. Ein Wort bildete sich auf ihrer Zunge, aber vorher kamen ihr die Tränen. Sie schluckte beides hinunter. »Die fünfzig Minuten sind um.« Stand auf.
»Mir ist es
wichtig
.« Blieb sitzen.
»Ich weiß«, sagte Taiwo und ging. Sie meinte es ernst.
Eine Betrügerin
.
Das Wort kam, verspätet, und schwebte vor ihr, Konturen im Spiegel, eine Tönung des Lichts. Sie streckte den Finger aus und berührte ihr Spiegelbild, ihre Augen leuchteten ihr entgegen, eigenartig in der Dunkelheit (die Farbe ein Erbe der schottischen Urgroßmutter), sie
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