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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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Eltern sind aus Ghana?«
    »Mein Vater war aus Ghana, ja.«
    »Das tut mir leid«, sagte er, weil er das »war« als »tot« deutete. »Und Ihre Mutter?«
    »Ihr tut es weniger leid als Ihnen, glaube ich.«
    Und da begann es. Aus dem Nichts: diese Leichtigkeit und dieses Geplänkel, als wären sie gleichaltrig, Freunde seit Jahren, und jetzt mehr – wie sie lachten und dann aufhörten, noch ein halbes Lächeln auf den Lippen vom Lachen, wie sie dann beide rot wurden und es wussten. Sie unterhielten sich höflich eine Stunde lang, pro forma (das Übliche, ihre unübliche Vergangenheit, der Zwillingsbruder, Maler in London, wie spannend, das Rhodes-Stipendium, wie großartig, Lateinisch und Griechisch), sie spann ihre Geschichte leicht und locker, wie immer, eine gut erzählte Geschichte über eine andere Person, ohne Einzelheiten, ohne Leidenschaft, »Ich habe dies gemacht«, »Ich habe jenes gemacht«, mit viel Flair, aber ohne Gefühl, keine Wahrheit jenseits der Fakten – und er hörte konzentriert zu, die azurblauen Augen brennend von dem Wissen, dass hier nichts enthüllt wurde, dass die Fakten eine Schicht waren, unter der sich die Wahrheit versteckte, die bloße Haut, welche zu einem anderen Zeitpunkt das Thema sein würde.
     
    Zu einem anderen Zeitpunkt.
    Regen. November. In der Barrow Street.
    Beide verlegen, was ziemlich verblüffend war, wenn man bedachte, dass der Dekan und die Studentin bisher nichts getan hatten, außer dass sie rot geworden waren und wussten, dass es passieren würde.
    Sie kamen von einer Veranstaltung in seinem Townhouse in der Park Avenue, zu der er sie und drei andere Studenten eingeladen hatte, Studenten, die sich schon Anfang November im ersten Jahr ihres Jurastudiums besonders hervorgetan hatten, sie sollten den Alumni erklären, warum sie sich für diese Universität entschieden hatten. Danach lud er die Gruppe zum Essen ins Indochine ein, alle fünf in eine Nische gequetscht, und die drei anderen plapperten eifrig und hochbegabt. Sehr zufrieden mit ihren Frühlingsrollen und ihren Litschi-Martinis. Taiwo saß dicht neben ihm, beobachtete, wie er seinen Charme spielen ließ, mit seinem Arm auf der Lehne hinter ihr. Eau de Cologne. Es war nicht so, dass sie ihn körperlich besonders anziehend fand – obwohl er das durchaus war, für seine Gewichtsklasse, um es einmal so auszudrücken. Die schlanke Erscheinung eines Läufers in den mittleren Jahren, die ganze Spannung im Rhythmus seiner Arme und Beine, weniger im Brustkorb, nicht besonders groß, einsachtzig ungefähr, eine sehr gute Figur für einen sehr guten Anzug. Eine Nase, die sich leicht hinunterneigte zum Mund, eine Hakennase, spitzes Kinn, herzförmiger Mund, schmale Wangenknochen. Sie fand ihn eher magnetisch. Ein Mann mit Präsenz. Wenn er in der Greene Hall vorbeikam, spürte sie seine Gegenwart durch die Bewegung in der Luft. Ein ziehendes Gefühl. In den Augen. Und schon drehte sie sich um. »Miss Sai«, sagte er dann und lächelte.
    Nach dem Essen wollten die anderen noch durch die Clubs ziehen, aber weil gerade der kalte Regen einsetzte, entschuldigte sich Taiwo: »Ich bin zu müde, vielleicht nächstes Mal.« Und er sagte leise: »Erlauben Sie mir wenigstens, Ihnen ein Taxi zu rufen.« Aber kein Taxi weit und breit. Sie gingen ein Stück zu Fuß, kamen sich immer näher, wie zwei Menschen dies tun, wenn es anfängt zu regnen und sie teils nach einem Taxi Ausschau halten, teils nach Ausreden suchen. Lafayette Street entlang, zum Washington Square Park.
    »Hier habe ich gewohnt«, sagte sie, als sie an Hayden Hall vorbeigingen.
    »Ich auch.«
    Taiwo protestierte. »Sie waren doch nie auf der NYU . Erst Yale, dann Yale Law School, dann das Marshall-Stipendium, dann das Weiße Haus.«
    »Alles aus Wikipedia?«
    »Von Ihrer Einführung heute Abend.«
    »Stimmt.« Er wurde verlegen. »Ich bin im Village aufgewachsen. Als es noch wirklich das Village war, jüdisch und schwarz.« Er griff nach ihrer Hand, weniger ein Annäherungsversuch als ein Zeichen. Ohne hinzuschauen.
    »Die Band ist wieder vereint«, lachte sie. Sie hielt ihre ineinander verschränkten Hände hoch, und ließ ihn dann los. Der Regen wurde stärker. »Vom Village zur Upper East Side,
non è male.
«
    »Meine Schwiegereltern haben uns nach der Uni das Haus geschenkt. Zur Hochzeit.« Er lachte leise. »Ich hasse es.«
    »Ihr Haus?«
    »Na ja, eigentlich ist es ja das Haus meiner Frau. Mein Haus ist immer noch hier. Eine kleine Wohnung, zwei

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