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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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zeichnete auf dem Spiegelglas ihre Lippen nach, Muschelschalen-Pink. »Nicht weinen, Taiwo«, sagte sie sanft, ihn nachäffend. Darüber musste sie lachen und ließ die Hand sinken. Was gab es da zu weinen? Es war genauso wie immer. Der erdrückende Zweifel an der Wahrheit ihrer Liebe.
    Sie ging wieder ins Schlafzimmer, blieb im Türrahmen stehen (gepanzert) und schaute ihn an, registrierte seine Mängel. Der Oberkörper weniger straff als Arme und Beine, das Haar oben auf dem Kopf schütter. Eine für die Rolle besser passende Frau hätte an diesem entscheidenden Punkt den Mann gefragt, ob er es nicht komisch fand, hier in diesem Haus zu sein, im ehemaligen Schlafzimmer seiner Mutter (auch wenn alles komplett renoviert war, eine Kindheitswohnung umgestaltet zu einem Junggesellen-Apartment)? Aber auf den Gedanken kam sie gar nicht, die Situation erschien ihr vage vertraut, ein Sohn im Bett seiner Mutter. Stattdessen holte sie ihre feuchte Handtasche, die beim Bett lag, wo sie sie hingelegt hatte, ging zum Fensterbrett, stahl-braun, und setzte sich hin. »Stört es dich, wenn ich rauche?«
    »Stört es dich, wenn ich zuschaue?«
    Jetzt lachte sie, wechselte das Thema, blies Kringel in die Luft. »Überleg mal. Außer Rastafariern, den echten, religiösen – welches schwarze Mädchen lässt sich Locken wachsen? Schwarze Mädchen, die auf mehrheitlich weiße Universitäten gehen. Dreadlocks sind eine schwarze Weiße-Mädchen-Frisur. Die Black-Power-Lösung eines Blauäugigen-Problems. Die Sehnsucht, wehende Pferdeschwanz-Haare zu haben. Zöpfe dauern zu lang nach einer Weile, genau wie die Extensions. Aber man braucht trotzdem eine Frisur, mit der man durch den Regen gehen kann. Vergiss die geheimen Vorteile von Fördermaßnahmen für Minderheiten. Das ist das Privileg der weißen Frauen – nasse Haare. Sich einen Dreck um die Fönfrisur zu scheren, wenn es regnet.«
    »Du bist genial. Du bist wunderbar.«
    »Findest du?«
    »Komm her.«
     
    »Ihr Baby schreit«, sagt der Fahrer zu Taiwo. Die ghanaische Art zu sagen: »Das Handy klingelt.« Sie bogen vom Highway ab, zur normalen Straße. Schnee nicht geräumt. Sie sagt: »Danke« und meldet sich mit einem Seufzer. »Wie habe ich diese Anomalie verdient?«
    »Ich bin’s. Olu.«
    »Ja, Olu, ich weiß. Ich seh’s auf dem Display.«
    Er ignoriert diese Bemerkung und sagt sanft: »Du klingst, als würdest du weinen.«
    Sie bemerkt ihre Tränen und seine Stimme. »Du auch.«
    »Was ist los?«, fragen sie beide gleichzeitig, und dann lachen sie, so wie Geschwister lachen, wenn sie sich nach einem Streit plötzlich an ihr Geschwistersein erinnern. »Fang du an«, sagt sie und fügt den alten Satz hinzu: »Du bist der Älteste.« Sie hört, dass er lauter lacht, ein würgendes Geräusch.
    Er sagt: »Weißt du noch, wenn wir ihm etwas sagen mussten, dann standen wir immer vor seinem Arbeitszimmer rum und haben uns nicht getraut reinzugehen, und wir haben uns gestritten, wer vorausgeht. Ich habe immer gesagt, du sollst es machen, weil du das Mädchen bist, und du hast gesagt, ich, weil ich der Älteste bin, und Kehinde hat sich sowieso immer einfach verdrückt, während wir uns gestritten haben?«
    Einen Augenblick lang verschlägt es ihr den Atem. »W-was willst du damit sagen?« Aber es geht nicht um ihren Bruder. Sie weiß, dass sie das wüsste. »Olu, was ist passiert?«
    »Er ist heute gestorben, Taiwo.«
    »Wer ist gestorben?«
    Der Trommelwirbel.
    Ein Kraftfeld aus Schmerz. »Woher weißt du das?«
    »Mom hat mich angerufen.«
    Unerklärlicherweise: Wut. »Und mich konnte sie nicht anrufen?«
    »Taiwo.«
    Sie antwortet nicht. Schaut aus dem Fenster. Denkt an das nächtliche Schlittenfahren. Lars Andersen Park. Sterne. »Wie?«
    »Herzinfarkt.« Olus Stimme überschlägt sich. »Ich habe Kehindes Londoner Nummer nicht. Hast du sie?«
    »Nein.«
    »Taiwo?«
    »Was?«
    »Ihr redet nicht miteinander?«
    »Nein.«
    »Seit zwei Jahren?«
    »Seit anderhalb.«
    »Er ist dein Zwilling …«
    »Das ist mir klar. Hast
du
seine Nummer? Er ist auch dein Bruder. Nicht nur meiner.«
    »Taiwo.«
    »
Was denn?
Sag nicht dauernd meinen Namen.« Jetzt weint sie richtig.
    »Nicht weinen«, sagt Olu.
    »Warum sagen das alle Leute? ›Nicht weinen‹?« Sie zittert. »Entschuldige.«
    »Ich finde seine Nummer schon raus. Mach dir keine Sorgen. Es ist okay.«
    »Hast du Sadie schon angerufen?«
    »Ich rufe sie als Nächste an.«
    »Ich sollte das übernehmen.« Sie trocknet ihre Tränen.

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