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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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»Ich bin das Mädchen.«
    Olu lacht zärtlich, schnieft leise. Sie schweigen beide. Nach einer sehr langen Pause fragt er: »Ist alles okay?«
    »Weiß ich noch nicht. Was ist mit dir?«
    »Ja, alles okay.«
    Sie schaut aus dem Fenster. »Ich bin in meiner Wohnung.«
    »Das will ich doch hoffen«, sagt er. »Es ist zwei Uhr morgens.«
    Sie geht nicht darauf ein, zählt ihr Bargeld. »Ich ruf dich noch mal an, wenn ich mit Sadie geredet habe.«
    »Okay.«
    Der Fahrer schaut wieder in den Spiegel, den Motor im Leerlauf. Sie reicht ihm das Geld, die Schulter am Ohr, um das Telefon einzuklemmen.
    »Bist du noch da?«, fragt Olu.
    »Ja. Entschuldige.«
    »Okay. Hör zu. Sie muss nach New York fahren, wegen des Flugs. Ich versuche, was zu bekommen, ab JFK , für morgen Nacht.«
    »Für morgen?«
    »Wegen der Beerdigung. Wir sollten am besten sofort fliegen.«
    Er fährt fort, mit seiner Olu-Stimme, Planung, Organisation, ihre Pflicht, für die Mutter da zu sein, das Wetter. Schließlich eine Pause. Er sagt noch: »Wir reden später.«
    »Tschüs«, beide gleichzeitig, und Taiwo legt auf.
     
    Sie bleibt noch einen Moment sitzen, schaut auf ihr Gebäude. Die Weihnachtsgirlanden bluten rote Lichttropfen. Der Fahrer weiß, dass er jetzt keine Fragen stellen darf, und tut es auch nicht. Er sitzt stumm da, bis sie aussteigt. Sie überlegt, ob sie ihn bitten soll, einfach mit ihr weiterzufahren, immer weiter, irgendwohin, alles, nur nicht dieses Haus hier, dieses Haus-ohne-Zuhause. Aber wohin? Es gibt nichts: Da ist der Liebhaber, der verheiratet ist, da ist der Job als Bedienung im Indochine, ein Witz, ein Insiderwitz, den sie mit sich selbst macht, sie zeigt dem Wunsch nach Anerkennung den Mittelfinger; da ist ihre Familie, über und über, ein Trümmerhaufen, einer weniger. Wohin soll sie gehen? Es gibt nur das Nirgendwo. Sie lacht. Kein Mann und kein Hund sehen, wie sie aus dem Taxi steigt, wie ihre Absätze an der Bordsteinkante im Schnee versinken, beharrlich und weich, während ihre nackten Beine vor Kälte zittern. Plötzlich merkt sie, wie albern sie auf diesen Fahrer aus Ghana wirken muss, auf diesen Mann mit seinem vernünftigen Mantel, der ihr nachblickt und wartet, bis sie das Gebäude erreicht hat und es unbeschadet betritt. Mit ihren Plateau-Stilettos stolpert sie die Stufen hinauf und blickt dann zurück zum Fahrer, zum Schnee.
    Abwärts tanzen die Flocken, landen auf ihren Schultern und auf ihrer Nase und auf seiner Windschutzscheibe, ein lautloses Unwetter, die Straße ist leergefegt von allen, die Wärme suchen, und es weht ein sanfter Wind. Taiwo hebt die Hand.
    Sie sind Engel in einer Schneekugel, beide schweigen, beide lächeln, zwei afrikanische Fremde allein im Schnee: ein Mann in einem Taxi, mit einem dicken beigefarbenen Mantel, er winkt ihr, als er losfährt, hupt einmal kurz – und ein Mädchen auf den Stufen, in einem kurzen weißen Pelzmantel, und sie weint, während sie ihm nachschaut.

Vier
    Jemand hämmert an die Badezimmertür. » SADIE !«
    Sie kniet vor der Kloschüssel, den Finger im Hals. Heraus kommt der Alkohol, gefolgt von dem Geburtstagskuchen, gefolgt von dünner, brennender Gallenflüssigkeit. Sadie wickelt ein paar Blatt Klopapier ab, wischt sich damit den Mund. Horcht einen Augenblick. Der Klopfer geht wieder. Woanders im Wohnheim dröhnt Partylärm, Jungen lachen, Mädchen kreischen in der Ferne. Sie hört die Geräusche wie ein Kind ganz unten im Swimmingpool, das sich dort hingelegt hat, nach oben schaut und so tut, als wäre es ertrunken. Sadie schaut ins Klo, das macht sie immer in dieser Situation: die Patientin, die sich in eine Ärztin verwandelt und das Ergebnis inspiziert. Sie findet es interessant, dass die Kotze, die da herauskommt, egal wie eklig, sich ganz logisch an die Reihenfolge hält, in der die Dinge eingenommen wurden. Im gesamten Ablauf liegt eine Spur von Zeremonie, denkt sie, das Niederknien und die Durchführung des immer gleichen schaurigen Rituals, die Wiederholung und dann die Stille, immer dieser Moment der Stille gleich anschließend. Ein Opfer. Bänder aus Blut. Sie überprüft ihre Fingernägel, gewissenhaft kurz geschnitten und immer noch nach Kotze stinkend –
    der Geruch stört.
    Ein Stich. Das Ende der Stille, Rückkehr ins Bewusstsein. Sie kniet auf einem kalten Fußboden. Und nicht wegen einer erleuchteten Reinigungshandlung, sondern weil sie Geburtstagskuchen erbrochen hat (ihren eigenen). Sie steht auf. Die Ärztin wird zur Verbrecherin.

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