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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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Themen: »Verlangen nach dem Vater«, »Elektra-Komplex«, absolut natürlich.
    Aber kein Wort über die Natur.
    Als könnte man, in Anbetracht der Alters- und ethnischen Unterschiede, alles mit Soziologie und Psychologie erklären, aber nicht durch Biologie. Nicht durch die Natur. Die Grundelemente der Natur, die sinnlose Niedertracht der Natur, die sogenannte unmittelbare Anziehung, Begehren, instinktive Reaktion, etwas, was einfach manchmal zwischen Menschen passiert, wie zwischen Tieren, die sich über den Weg laufen, im Wald (oder im Dschungel): Das eine Tier sieht das andere oder nimmt seinen Geruch auf und fühlt sich angezogen wie ein Magnet, will es bespringen, sich paaren. Die Medien gingen darauf nicht ein. Dr. Hass glaubt nicht daran. Dass Taiwo, die sonst nie etwas mit älteren Männern hatte, einfach einen Raum betrat und diesen älteren Mann sah, diesen Dekan Rudd, und dass er sie sah und es einfach begann.
     
    »Dekan Rudd, hier ist Taiwo.«
    Die Assistentin, Marissa.
    Das Vorstellungsgespräch. März. Der Winter geht zu Ende, die Bäume draußen auf dem zentralen Innenhof treiben kleine rosarote Knospen, obwohl der schneidende, heulende Wind laut protestiert. Weibliche Hauptperson kommt ins Bild, bleibt an der Tür abrupt stehen, am Rand eines Teppichs, senffarben mit Ranken – so völlig anders damals, jünger, entschlossen, gläubig, wieder in New York nach drei Jahren Oxford, der Gott der Bestätigung immer noch ihr ständiger Begleiter – und da steht sie auf der Schwelle, blickt in den Raum.
    So etwa.
    In einem blauen Samt-Blazer und Kleid beziehungsweise Dashiki, die ironische Wirkung, halb Mir-doch-egal, ein Viertel Yoruba-Priesterin, ein Viertel braves britisches Schulmädchen, ihre hochgekämmten Locken, die in kleinen Kringeln heruntertropfen, Highheels. Dieses Gefühl von Eroberungslust, das sie immer noch manchmal überkommt, wenn sie Räume betritt, in denen sie punkten muss, in denen Männer angelächelt und Frauen beeindruckt werden müssen, Beute und Jäger zugleich, Vorderbeine und Unterkiefer vorgestreckt. Bleibt also abrupt stehen, genau wie Marissa, beide gepackt von der plötzlichen Spannung, vom Gesichtsausdruck der männlichen Hauptperson, von der Art, wie er sie einfach nur anstarrt.
    Er hörte nicht auf zu starren. Marissa wurde rot, sie verstand genau, was diese Reaktion bedeutete. »Tja, dann lasse ich Sie beide mal allein«, sagte sie ohne jede Ironie.
    Jemand dabei ertappt, wie er etwas macht, was er sein lassen sollte. Was er aber nicht schafft. »M-Miss Sai«, sagte er mit einem Hüsteln. »Kommen Sie rein, bitte, entschuldigen Sie.« Er räusperte sich zweimal, »Marissa, danke schön.«
    Marissa ging.
    Taiwo trat ein.
    Überquerte langsam den Teppich zwischen der Tür und dem roten Ledersessel gegenüber von seinem Schreibtisch. Abgestoßen und angezogen, beide, wie von einem Sog mitgerissen, sich dem Sog widersetzend, aufgelöst durch seinen Blick, azurblau im Schatten tintenschwarzer Wimpern, ein durchsichtiges Starren, das durchschaut. Durchschaut nimmt sie Platz.
    »Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte er und setzte sich ebenfalls hin. Sie gaben sich nicht die Hand, als wüssten sie:
noch nicht
. »Ich hatte gehofft, Sie persönlich zu treffen. Nachdem ich Ihren Essay gelesen habe.« Er hielt ihre Akte hoch. »Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so etwas gelesen habe.« Er schüttelte den Kopf, lachte. »Sie schreiben viel zu gut für eine Juristin.«
    Sie wusste nicht, wohin sie schauen sollte – seine Augen, sein Lächeln, seine Finger auf den Unterlagen, das Licht in seinen Haaren, wodurch das Silbergold zu glitzern begann –, also schaute sie auf ihre Hände. Und sagte: »Ich danke Ihnen.«
    »Aber ich bitte Sie: Ich danke
Ihnen
.« Wie er lachte. »Das Einzige, was ich Sie fragen will, ist, ob Sie sich sicher sind, dass Sie Jura studieren möchten. Ich meine nicht das Studium an der Columbia – wir würden uns geehrt fühlen, wenn Sie zu uns kommen. Ich meine Jura im Allgemeinen. Ich weiß, was Sie geschrieben haben. Über die Entscheidung Ihrer Mutter, das Jurastudium aufzugeben, alles für ihre Kinder zu opfern.«
    »So schlimm war es nicht. Habe ich das geschrieben?«
    »In phantastischer Prosa, ja, das haben Sie geschrieben, Taiwo Sai.« Das Licht vom Fenster hinter ihm zwischen ihnen. »Darf ich fragen, woher er kommt, Ihr Nachname?«
    »Dürfen Sie.« Das Licht in ihren Augen, in seinem Lachen. »Aus Ghana.«
    »Ihre

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