Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Schlafzimmer, in der Barrow Street. Meine Mutter hat es nie verkauft. Die totale Kifferin, die keinen Job länger als drei oder vier Monate hat, sie hat in Diners bedient, aber irgendwie konnte sie die Wohnung kaufen, Gott segne sie. Hat ihr eigenes Gras angebaut, das sie dann dreimal am Tag geraucht hat. Es war ruhig in dem Haus. Da drüben habe ich zum ersten Mal ein Mädchen geküsst.« Er deutete auf eine Bank. »Lena Freeman.«
»Ein nettes jüdisches Mädchen?«
»Sie war in der Black Panther Party. Wir haben uns bei einer Demonstration getroffen, da drüben beim Brunnen.«
»Das erste Mädchen, das Sie geküsst haben, war schwarz?«
»Eine Frau. Achtundzwanzig.«
»Und wie alt waren Sie?«
»Sechzehn.«
»Gelogen.«
»Doch, ich war sechzehn und habe so getan, als würde ich an der Columbia Jura studieren.«
»Inzwischen hat sich einiges verändert.« Sie schlug spielerisch mit der Hand auf seinen Arm. »Sie müssten längst im Bett sein, stimmt’s – da wir gerade von Zuhause sprechen.«
Er lachte wieder. »Ja, stimmt. Lexi ist in Napa. Ich rufe Ihnen am besten ein Telefontaxi. Gehen wir rein.«
Woraufhin sie die kurze Strecke zur Barrow Street rannten, drei Stockwerke hoch, hinauf in die Stille und die Dunkelheit, wo sie, beim Tasten nach dem Lichtschalter und dem Abschütteln des Jacketts, gegeneinander stießen, Brust an Brust.
Und schon küssten sie sich, wie man das tut im Dunkeln, wenn man tropfnass ist, weil man gerade durch den Regen gerannt ist. Mit den eigenen Händen und denen des anderen zieht man die durchnässten Klamotten aus, eine ungeduldige Choreographie, die man ohne Worte kennt. Dann lagen sie im ehemaligen Schlafzimmer seiner Mutter, der Regen die Geräuschkulisse, beide nackt, auf dem Rücken, und er nahm ihren Arm, stahl-braun im Mondlicht, und küsste ihn. »Du riechst wunderbar.«
»Wie Lena Freeman?« Und lachte.
Er stopfte sich das Kissen unter den Kopf. »Ich weiß, was du denkst.«
»Also –
damit
würdest du mich wirklich beeindrucken.«
»Das erste Mal heute Abend?« Gespielter Schock. »Du willst demnach behaupten, dass meine Ansprache dich nicht beeindruckt hat? ›Begabung heißt Geben‹? Meine Kleidung? Okay. Die Fliege sieht wohlhabend aus. Auch ein Geschenk von meinen Schwiegereltern.«
»Eine Fliege, passend zum Haus?«
Er lachte lauter. »Touché.« Er stützte sich auf, um sie besser anschauen zu können. Traurig. »Du denkst, ich habe mich irgendwo verloren. Du denkst, ich hatte einmal eine Freiheit, eine Vision, ich hatte Lena, eine Freundin bei den Black Panther, jüdischer Lockenkopf, leidenschaftlich. Du denkst, ich habe die Welt und mich selbst so gesehen und habe gebrannt, ich hatte das brennende Verlangen, die Welt zu verändern – und dann bin ich nach Yale gegangen und habe Lexi getroffen, habe geheiratet, bin reich geworden, habe die Leidenschaft, das Feuer verloren, und jetzt suche ich etwas, einen Funken, eine Inspiration, und du bist sozusagen die Reinkarnation von Lena. Denkst du. Aber du irrst dich. Ich habe noch nie jemanden wie dich gekannt. Lena nicht. Niemanden, nirgends.«
»Beeindruckend.«
»Außerdem – deine Haare. Ihre waren« – eine Geste – »größer. Eine Wolke. Ein ganzes Sternbild.«
»Ein Afro.«
»Eine Welt. Deine Haare sind nicht …« Er berührte ihre Dreadlocks. »Nicht horizontal.«
»Dir gefällt meine Weiße-Mädchen-Frisur nicht?«
»Mir gefällt deine
was
nicht?«
»Meine Dreadlocks. Meine Weiße-Mädchen-Frisur.«
Gelächter, immer Gelächter. »Gehören Dreadlocks nicht nach Jamaika? Oder sind sie nicht mindestens afrozentrisch? Sagt ihr das eigentlich immer noch? ›Afrozentrisch‹?«
»Ja, Die Weißen.«
»Du bist wunderbar.«
»Du kennst mich nicht.«
»Dann musst du mir helfen«, sagte er. »Ich möchte dich gern kennenlernen.«
»Geht nicht. Ich bin Studentin. Du bist verheiratet.«
Er schwieg. Dann, nach einer Weile: »Ich weiß.« Er legte sich wieder neben sie, um sie weniger direkt anzusehen. Ein paar Minuten lang sagten sie beide kein Wort. »Was denkst du?«, fragte er dann.
Taiwo dachte – zum ersten Mal seit Stunden reagierte sie nicht nur, sondern
dachte
–, dass hier ein Irrtum vorlag. Wenn eine junge Frau gesucht wurde, welche die Geliebte/die Studentin spielen sollte für einen Professor, dessen Frau auf einer Weinprobenreise war, sollte man eine Studentin nehmen, die sich besser für einen Skandal eignete (und auch für das Village oder Napa oder
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