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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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Friedlich. Dann:
    »K…«, sagte sie zaghaft.
    »Ja?«, sagte er und drehte sein Gesicht zu ihr. Sie rührte sich nicht, lag auf dem Rücken mit ihren Füßen neben seinem Kissen, seine Füße neben ihrem Kopf (so wie sie schon immer die Betten geteilt hatten). Sie blickte zur Decke, drehte sich nicht um, schaute ihn nicht an. Er wackelte mit den Zehen neben ihrer Stirn. Sie musste lachen.
    »Ich meine es ernst«, sagte sie.
    »Was?« Er lachte auch. Sie schaute ihn immer noch nicht an. »Bis jetzt hast du nur ›K‹ gesagt.«
    »Aber das sage ich doch immer, wenn ich ernst werde. Du weißt, was ich will. Du hast noch nichts gesagt.« Jetzt schwieg er, den Blick zur Decke gerichtet. Er spürte, dass sie zu ihm hinunterblickte, über ihre Zehen weg. Nach einer Weile legte sie den Kopf zurück, und sie schwiegen beide. »Sag mir’s doch«, sagte sie dann.
    »Was soll ich sagen?«, murmelte er leise, aber er wusste, was sie meinte, und wusste, dass sie wusste, dass er es wusste. Sie wollte wissen, was er von den Fotos hielt und dass ihr Name in den Zeitungen stand, die unter der Tür durchgeschoben wurden, seine Zwillingsschwester, seine Taiwo, in einen »Skandal« verwickelt, in die Welt verwickelt, aber nicht in die Welt in ihren Köpfen, sondern in die echte Welt, die WELT in Großbuchstaben, wo die Menschen rücksichtslos waren, wo Geschichten
über
sie geschrieben wurden und nicht
von
ihnen, wo reale Männer und reale Frauen Motive und Körper hatten (und Sex – etwas, was in der Welt, die sie miteinander teilten, nicht mehr existierte). Er verstand die Frage, aber er hatte keine Antwort. Das Mädchen auf den Fotos war nicht das Mädchen, das er kannte, nicht seine Schwester, nicht Taiwo, sie war jemand anderes, älter und härter als das Mädchen, das er in New York zurückgelassen hatte. Um ihre Frage zu beantworten, musste er sich
damit
auseinandersetzen, mit der Frage, warum er nach der Schule weggegangen war, warum er sich für das Fulbright-Stipendium in Mali beworben und dann später in Paris als Bedienung gearbeitet hatte, warum er in London mit Ausstellungen begonnen hatte und nie nach Hause gekommen war. Sie hatte auch ein Stipendium gehabt, um in England zu studieren, zwei Jahre hatte sie dort gelebt, in Oxford, nicht weit von ihm. Aber er schlug nie vor, sie könnte ihn in Mali besuchen oder in Paris im folgenden Jahr, er sagte ihr nicht einmal, dass er dort war. Sie ging wieder weg von England, begann, Jura zu studieren, er besuchte sie nie. Zwei Jahre in East London, und er flog so gut wie nie nach Hause. »Du bist damit beschäftigt, ein weltberühmter Künstler zu werden«, sagte sie zu ihm, »mach dir keine Sorgen.«
    Das war
sein
Satz, nicht ihrer.
    Kehinde machte sich Sorgen.
    Darüber, warum sie sich überhaupt dafür entschieden hatte, Jura zu studieren, sie hatte sich doch nie für solche Themen interessiert oder für diese Art von Leben (das war für Olu und Sadie, gute Noten und schicke Colleges und Superjobs und der ganze Kram), und jetzt das, mit diesem Mann, der ziemlich gut aussah, aber er war – was war das Wort, das er suchte? – er war nicht
er
. Wenn Taiwo Gesellschaft brauchte oder jemanden zum Reden oder jemanden, an den sie sich anlehnen konnte, dann hätte
er
das sein müssen, dachte Kehinde, obwohl er geflohen war, obwohl er weggelaufen war und immer noch weglief. Er hätte sie nicht verlassen dürfen.
Er
hätte es sein müssen.
    »Ich möchte, dass du sagst, was du denkst«, sagte sie, matt.
    »
Ich
hätte es sein müssen«, sagte Kehinde in seinem Kopf. »Was ich worüber denke?«, hörte er, zur Decke starrend.
    »Was du
darüber denkst
, K, wie du das findest, was passiert ist. Und mich.« Sie setzte sich auf an ihrem Ende des Bettes, um zu ihm hinunterzublicken. Weil er sich im Liegen komisch vorkam, setzte er sich ebenfalls auf und erhob sich dann. Weil er sich im Stehen komisch vorkam, setzte er sich in den Sessel, schlug die Beine übereinander, schlug mit dem Fuß in die Luft. Taiwo – die dem Schweigen immer misstraute, es bedrohlich fand – verschränkte die Arme, legte die Stirn in Falten, wollte ihn zum Sprechen bringen. »Zum Beispiel«, sagte sie schließlich. »Du könntest sagen: Ich finde es unmoralisch. Mit einem Mann zu schlafen, der verheiratet ist. Das zu tun, was du getan hast. Du hättest ihn zurückweisen müssen. Ich finde es traurig, dass du dich so allein gefühlt hast. Zum Beispiel. Ich finde, du hast dich verhalten wie …« eine

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