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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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beiden Schwestern. Ich meine, das ist eine phantastische Nachricht.« Er rückt eifrig seinen Stuhl nach links, damit er Sadie gegenübersitzt, so wie man das macht, wenn man zeigen will
Ich bin ganz Ohr, schieß los
. Er spürt seine Schwester, Taiwo, neben sich, rechts von ihm, aber er kann sie nicht ansehen, nicht richtig, noch nicht. Sadie fängt an zu reden, mit einem Blick auf Taiwo. Kehinde schaut nur Sadie an, blickt nicht nach rechts. Aber er folgt Sadies Augen, die Taiwo folgen, die stumm von ihrem Stuhl aufgestanden ist und zum hinteren Teil des Raumes geht.
    »Nein!«, stöhnt er und steht auf, um sie zu bremsen. »Warte. Taiwo.« Zu spät. Und zu leise. Sie ist schon an der Wand. Sie starrt auf die Bilder, mit dem Rücken zu ihm, schweigend, ihre Fragen ein Hohlraum, ein Loch in seiner Lunge. Atemnot. »Sie sind noch nicht fertig …« Ein schwaches Ausatmen. Sie hört nicht auf zu starren, und Sadie steht jetzt ebenfalls auf.
    »Was ist denn los?«, ruft sie in Taiwos Richtung. Taiwo ignoriert sie. Nun ist ihr Interesse geweckt. Sadie geht zu ihr.
    Er sieht sich selbst, wie er zu gebieterischen Maßnahmen greift, wie er Wörter sagt und Gesten macht, mit denen er die beiden dazu bringt, Abstand zu nehmen, und wie er dann die Bilder umdreht, so dass man die Gesichter nicht mehr sehen kann. Aber stattdessen steht er reglos da, unfähig, sich zu bewegen. Er sagt zu ihnen: »Nein! Sie sind noch nicht fertig! Sie sind nichts!« Aber er schaut sie nur stumm an, unfähig zu sprechen. Das, was er immer tut und wofür er sich hasst, dieses Stumm-und-reglos-Sein, eingeschlossen in einem Hohlraum. Warum passiert das?, hat er Dr. Shipman gefragt. Können Sie machen, dass es aufhört? Können Sie mich reparieren? Ich bin ein Feigling. Ich bin zu nichts gut. Ich stehe in dieser Kammer, hinter Glaswänden. Ich kann die Menschen auf der anderen Seite der Wand hören und sie vorbeigehen sehen, aber ich kann nicht zu ihnen, kann nicht mit ihnen reden, kann ihnen nicht sagen, dass ich
hier drin
bin, ich kann das Glas nicht zertrümmern, und sie können nicht hören, wie ich rufe.
    »Schutz«, sagte der Arzt.
    »Schutz wovor?«
    »Vor Ihrer Angst, vor Ihrem Schmerz, vor Ihrer Qual, Ihrer Wut.«
    »Ich bin nicht wütend«, sagte Kehinde.
    »Doch, Sie sind wütend, und Sie haben auch allen Grund dazu. Lassen Sie sie zu, Ihre Wut. Erlauben Sie ihr, da zu sein.«
    »Aber sie ist nicht da. Ich bin nicht wütend.«
    »Sie sind nicht wütend? Auf Ihre Mutter? Ihren Vater? Ihren Onkel? Ihre Schwester? Auf sich selbst?«
    »Nicht auf meine Schwester«,
sagte er da, aber zu schroff, zu schnell.
    Die buschigen weißen Augenbrauen gingen nach oben. »Nein?« Und nach einer kurzen Pause: »Warum haben Sie es dann gesagt?« Die gleiche gemeine Frage, immer wieder. Ein halbes Jahr in einen Garten blicken und ihn malen – und er kann die Frage immer noch nicht beantworten. Warum das Wort »Hure«?
    Er war nicht wütend gewesen. Er hatte keine Qualen empfunden. Sie lagen ganz bequem im Bowery Hotel, er war in New York wegen seiner Vernissage in der Sperone Gallery, Taiwo verbrachte das Wochenende in seinem Zimmer, auf der Flucht. Jemand hatte sie und den Dekan der juristischen Fakultät eng umschlugen erwischt und mit dem Handy ein Foto gemacht, um sie der Presse zu schicken, vor allem der Zeitung, bei der seine Frau arbeitete. Und jetzt, sagte Taiwo, wurde sie auf dem Campus angestarrt; sie ging nicht mehr in ihre Kurse und hatte vor, überhaupt auszusteigen. Konnte sie vielleicht das Wochenende bei ihm verbringen, in Jogginghosen Popcorn essen, ohne auf Schritt und Tritt irgendwelchen Reportern zu begegnen? Ja, natürlich, ruhig auch länger, er würde ihr ein Hotelzimmer bezahlen, oder noch besser, sie konnte mit ihm nach London gehen.
Nein, nur das Wochenende,
sagte sie. Wie üblich. Sie lehnte immer sein Geld ab, seine Hilfe. In letzter Zeit hatte er aufgehört, ihr etwas anzubieten, weil er Angst hatte, wenn er sie bedrängte, könnte es so aussehen, als wollte er sie irgendwie bestechen oder sich loskaufen.
Nur das eine Wochenende.
Allein mit ihrem Bruder. Das sei alles, was sie brauche, sagte sie.
    Da waren sie nun.
    In ihren Schlafsachen. Schon halb eingedöst. New York draußen vor dem Fenster ein leise trällernder Chor aus Gelächter und Autohupen, die Suite unpassenderweise (aber irgendwie tröstlich) ausgestattet wie ein Gästezimmer in einem Sommerhaus auf Nantucket: beige, Blumendesign und alles. Freitagabend.

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