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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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war immer noch aus. Im Badezimmer rauschte die Dusche. Er wartete. Dreißig Minuten, vielleicht eine Stunde, saß er in der Dunkelheit. Irgendwann legte er sich aufs Bett, die Füße auf dem Teppich. Das Blut an seinem Kinn trocknete. Als er die Augen aufschlug, war es hell hinter dem Fenster. Die Dusche lief noch immer. Taiwo war weg.
     
    Jetzt steht sie da und betrachtet seine Porträts, mit dem Rücken zu ihm, sie ist da, am anderen Ende des Raums, nachdem sie alle seine Anrufe abgewiesen und dann ihre Nummer geändert hat und ihm durch ihre Mutter mitteilen ließ, er solle sie in Ruhe lassen, was er auf irreversible Art versuchte, dabei aber sein Ziel um sechs Liter Blut verfehlte,
grâce à
Sangna (die dachte, er sei in Urlaub gefahren, und vorbeikam, um nachzusehen, ob er alle Türen verschlossen hatte). Neun lebensgroße Ganzporträts, die Körper unfertig, aber eindeutig ihr Gesicht, leicht verändert bei jedem Bild, mit irgendeinem Gegenstand, einer Leier oder einer Pergamentrolle oder einem Stift, um Leuten, die sich in der griechischen Mythologie nicht auskennen, den Zusammenhang zu erklären. Bei jeder Leinwand liegt eine Karteikarte. Sadie geht an den Bildern entlang und liest die Karten laut vor: »Euterpe, Polyhymnia, Terpsichore, Clio, Thalie, Erato Uranie, Melpomene, Kalliope!« Sie quietscht entzückt: »Omeingott! Calliope! So heißt Philaes kleine Schwester.«
    »Du erinnerst dich«, sagt Taiwo. »Achte Klasse. Die Musen.«
    »Hey!« Sadie dreht sich zu Kehinde. »Sie kriegt neun Gemälde, und ich bekomme eine
Postkarte

    »Sie sind noch nicht fertig«, murmelt er und läuft zu den Bildern, dreht sie um, angefangen mit Erato.
    »Halt! Was machst du?«, fragt Taiwo.
    »Sie sind nicht fertig.«
    »Halt«,
sagt sie leise, fasst ihn am Arm.
    Und lässt ihre Hand da, auf seinem nach oben gedrehten Unterarm. Er sieht sie an, zu erschrocken, um zu sprechen, verkrampft sich. »Er ist tot, K. Er ist gestorben. Das ist der schlimme Teil. In Ghana. Ein Herzinfarkt. Gestern Morgen, glaube ich.« Er denkt die Frage, als sie antwortet. »Wir fliegen hin. Olu hat die Tickets gekauft. Morgen um sechs.« Er blickt auf ihre Hand auf seinem Arm. Sie drückt fester. Sein Hemd ist hochgerutscht, weg von den Narben an seinen Handgelenken. Er will sich ihr entziehen, aber sie hält ihn fest, schaut ihn noch fester an, verlangt mit ihrem Blick, dass er ihn erwidert. Er schaut seine Schwester an. Sie schaut auf seinen Unterarm. Lässt ihre Hand blitzschnell sinken, als sie die Narben sieht. »Tut mir leid«, sagen sie beide mit so ähnlichen Stimmen, dass sie nicht sicher sind, ob der andere etwas gesagt hat.

Sieben
    Ling klopft leise an die Badezimmertür. »Olu?«
    Er ist eingeschlafen, mit dem Kopf auf den Knien. Er schlägt die Augen auf und hustet verwirrt. »Ja?«
    »Bist du da drin? Kann ich reinkommen?«
    »Ja.«
    Sie öffnet die Tür und späht hinein. »Hallo, du Schlafmütze. Ich dachte, du bist schon weg.«
    »Nein.«
    »Du warst die ganze Zeit hier?«
    »Ja.«
    »Alles okay?«
    »Ja.« Mit leerem Blick schaut er sie an.
    »Du riechst nach Rauch?«
    »Ich rauche nicht.«
    »Ja, ich weiß, Schatz.«
    »Eine Frau im Krankenhaus hatte gerade ihren Mann verloren«, sagt er und dann, genauso ausdruckslos: »Mein Vater ist tot.«
    »Baby.« Sie schlägt die Hand vor den Mund. »Das tut mir so leid!« Sie kommt ins Bad rein und kniet sich auf den Boden, legt die Hände auf seine Kniescheiben und reibt. Dann umschlingt sie seine Beine, legt den Kopf in seinen Schoß. »Ach, das tut mir so leid. Was ist passiert?« Sie sieht ihn an. »Sag’s mir.«
    »Herzinfarkt.«
    »Wann?«
    »Nach der Zeit dort am Morgen, glaube ich.«
    Er spricht monoton, völlig ohne Gefühl. Er schüttelt den Kopf, kneift die Augen zusammen, ein Versuch, dem Nebel zu entkommen. Trotzdem ist da nichts als dumpf lastende Benommenheit. Er schaut starr auf Ling hinunter, will sie sehen, sie spüren. »Wir fliegen nach Ghana. Morgen. Meine Familie.«
    »Ich komme mit.«
    Zu schnell. »Das geht nicht.«
    Beide zucken sie zusammen, wegen der Schärfe im Tonfall. Ling steht auf, verkrampft. Er richtet sich auf. Wie bei
Feuer frei
. »Was heißt das?«, schießt sie los. Er schüttelt den Kopf, presst die Handflächen gegen die Augen. »Weiß ich nicht.«
    »Ich habe die ganze Woche frei. Ich komme mit.«
    »Ich weiß, dass du frei hast. Und danke, dass du anbietest, mitzukommen.«
    »Dass ich anbiete, mitzukommen? Du bist mein Ehemann – schon

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