Diese Dinge geschehen nicht einfach so
»
Ehn
lass den Jungen in Ruhe.« Er ging auf Taiwo zu, ignorierte Kehinde erst einmal. »Und die hier, und die hier«, sagte er. »Das ist
sie
.« Er blieb vor Taiwo stehen und fasste sanft ihr Kinn, die Berührung viel weniger aggressiv als der Ausdruck in seinen Augen, die Finger kalt, fast eisig, das spürte Kehinde. Taiwo fröstelte. Femi lachte. »Seht nur – sie hat Angst.«
»Fass sie nicht an«, sagte Kehinde.
Ein sehr leiser Satz, für alle gleichermaßen überraschend.
Niké grub ihre Nägel tiefer ein und saugte an den Zähnen. »
Heh!
Was fällt dir ein, so mit einem Erwachsenen zu reden?!
Ki lo de ke…
« Aber Femi unterbrach sie wieder, mit höhnischem Jubel.
»Omokehindegbegbon redet! So heißt du. Omokehindegbegbon. Abgekürzt Kehinde. Weißt du, was das heißt? ›Das Kind, das zuletzt gekommen ist, wird das Ältere.‹« An Niké gewandt: »Mein Gott, schau dir die beiden an. Sie sind perfekt. Das Mädchen ist perfekt. Sie ist
sie
.«
Woraufhin alle vier wie abgesprochen auf das Bild über dem Kamin schauten, aus dem die Frau missmutig herausblickte.
Ja, es stimmte. Sie war’s. Taiwo. Eine hellerhäutige Taiwo in zehn, fünfzehn Jahren, schmalere Lippen, glattere Haare. Femi zielte mit einer silbernen Fernbedienung wie mit einer Pistole auf das Gesicht, flüsterte »Peng!«, und die Musik verstummte. Kehinde erwartete so halb, dass die Frau herunterfallen würde, dass sie tödlich verletzt aus ihrem Rahmen auf den Fußboden sinken würde. Halb wünschte er es sich. Und während er sie anstarrte, geschah etwas anderes: die umgekehrte Sinnestäuschung. Er fand die Frau hässlich, erdrückend hässlich, wusste, dass auf Grund ihres Gesichts hässliche Dinge geschehen waren, und er hasste sie, ihr Äußeres, ihre milchig-weiße Blässe, er hasste diese Frau, die weder afrikanisch noch weiß war, die zu keinem Volk gehörte, zu keiner Vergangenheit, die er kannte, die an der Wand hing, kalt wie der Tod, aus Eis geschnitten, das einzige Familienmitglied, dem er und Taiwo wenigstens vage ähnelten, diese bleiche, hassenswerte Schönheit, fest verankert in gehämmertem Messing.
Femi sagte jetzt: »Diese Frau ist eure Großmutter«, wobei er die Wörter »diese Frau« mit unüberhörbarer Abneigung aussprach. »Die Ehefrau meines Vaters Kayo Savage, eures Großvaters. Die Mutter von Fola, von
eurer
Mutter. Sie ist ihr Kind.« Er deutete auf das Bild, seine Stimme wurde leiser und gepresster, ein kratzendes Geräusch, zwischen den Zähnen hervorgestoßen. »Das Bild hing immer im Schlafzimmer über seinem Bett und schaute zu, wie er
meine
Mutter vögelte, seine Hure. Somayina seine Ehefrau. Folasadé seine Tochter. Babafemi sein Bastard. Olabimbo seine Hure.« Grinsend breitete er die Arme aus, die blutunterlaufenen Augen funkelten. Er lachte. »Da habt ihr’s. Der Stammbaum der Familie Savage.«
Niké saugte an den Zähnen. »Femi,
bitte
–«
»Sei still. Ich erzähle ihnen eine Geschichte; sie haben doch offensichtlich keine Ahnung. Man sollte wissen, woher man kommt, findest du nicht? Es ist wichtig. Sie müssen über unsere Familie Bescheid wissen, wie wir alle entstanden sind.« Er lachte wieder laut, und mit scharfem Blick musterte er Taiwo. »Und jetzt seid ihr hier.« Dann Kehinde. »Meine Zwillinge. Ihr wisst, was wir Yoruba über
ibeji
sagen. Ihr bringt uns Glück und Wohlstand, ihr Zwillinge. Und ihr wisst, was mein Name bedeutet, ja? Femi bedeutet ›liebe mich‹. Ich möchte, dass ihr mich liebt,
ibeji
, hört ihr?« Er beugte sich hinunter und küsste sie beide auf die Stirn, seine Hände und seine Lippen eisig. »Ich liebe euch sehr.« Dann, mit einem Blick auf seine Frau: »Frau, was guckst du so?« Niké saugte an den Zähnen. »Zeig unseren Zwillingen ihre Zimmer.«
Er würde gern aussehen wie sein Vater, denkt er, während Sadie mitfühlend die Stirn runzelt. Das Schweigen in ihm lässt nach. Seine Ohren machen irgendwie
plopp
, und er hört sich selbst sagen: »Ich liebe dein Gesicht, Sadie.«
»Du kannst es haben«, sagt sie.
»Hat sie dir gefallen, die Karte?« Er wird rot, vor Verlegenheit, und ihm ist bewusst, dass sie, Sadie, ihn für verrückt halten muss.
Aber sie kichert und wird dunkelrot. »Ich finde sie toll, richtig toll. Du hast mich so … so hübsch gemacht.« Sie lächelt auf ihre Hände hinunter.
»Entschuldige – du hast gesagt: Wir sind noch gar nicht bis zum schlimmen Teil gekommen. Was ist die schlechte Nachricht? Ihr seid hier, meine
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