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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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Geste, »… ich finde, du hast dich verhalten wie … Bimbo … wie eine …«
    »Hure.«
    Das Wort rutschte so schnell von seinem Gehirn zu seinem Mund, kam heraus mit dem Ausatmen, wie Abfall auf einer Welle, so schnell, dass er selbst gar nicht richtig wusste, ob er etwas gesagt hatte, bis das Schweigen verebbte und das Wort immer noch da war.
    »Eine
Hure
 …?«, flüsterte Taiwo. »Hast du das gerade gesagt?« Er wusste nicht, was er gesagt hatte, warum er es gesagt hatte, noch nicht. Und war dankbar für die Dunkelheit, für diesen Sessel in der Ecke, wo der Schatten seine Gestalt und sein Gesicht verbarg. Aber nicht ihr Gesicht. Er konnte sie sehen, elektrisch im Mondlicht, der Schmerz in ihren Augen wie ein Licht von innen. »Eine Hure«, wiederholte sie. Sie war aufgestanden, ihre Stimme brüchig, voller Angst vor dem Schweigen. »D-du hast mich
Hure
genannt?«
    »Nein«, sagte er, nicht wirklich. »Bitte, Taiwo…«
    »Wie kannst du das wagen?«
    Er stand auf, ging einen Schritt auf sie zu, »Bitte …«
    »
Das
denkst du?« Sie weinte, lautlos, Tränen ohne Pause, ein dichter, gleichmäßiger Regen. »Ist es
das
, was du denkst?«
    »Es ist nicht deine Schuld, Taiwo. Es ist meine Schuld. Das weißt du doch …«
    »Das ist es, was du denkst? Es ist deine Schuld, dass ich eine Hure bin?«
    »Nein. Das habe ich nicht gesagt.«
    »Doch.«
    »Ich habe es nicht so gemeint …« Er streckte die Hand aus, um sie zu berühren.
    » FASS MICH NICHT AN !«, schrie sie.
    Kein menschliches Geräusch. Ein Tier. Ein Grollen, von ganz unten, ein Knurren in der Dunkelheit. Sie streckte die Hände aus. »Fass mich nicht an, fass mich nicht an, fass mich nicht an, fass mich nicht an.« Sie wich vor ihm zurück, die Arme vorgestreckt. »Ich hasse dich, fass mich nicht an.« Sie schluchzte, bekam keine Luft mehr.
    Er machte wieder einen Schritt auf sie zu. »Sag das nicht«, flehte er sie an.
    »Fass mich nicht an, verdammt nochmal. Ich schwöre bei Gott, Kehinde, ich bring dich um, fass mich nicht an, diesmal nicht«, stieß sie hervor. Sie machte noch einen Schritt rückwärts und stieß gegen den Nachttisch. Verlor das Gleichgewicht, taumelte. Er griff nach ihr, packte sie, um sie aufzufangen, weil er Angst hatte, sie könnte sich den Kopf anschlagen, aber sie wehrte sich gegen die Berührung, schlug um sich, panisch, grub die Fingernägel in seine Haut. » LASS MICH LOS !«
    Er ließ sie nicht los. Er konnte es nicht. Er konnte sie nicht loslassen. Er hielt sie fest, fester als er gedacht hatte, dass er es je könnte. Er wusste, dass er stark war (jeden Morgen Yoga, die großen Kunstwerke, die damit verbundene körperliche Arbeit), aber er hatte diese Stärke noch nie als ein Mittel zum Zweck eingesetzt, nie gegen einen anderen Menschen, der das entgegengesetzte Ziel verfolgte. Er spürte, dass seine Kraft sie überraschte, und spürte ihre Wut, eine körperliche, gleichwertige und gegen ihn gerichtete Kraft. Sie schlug ihn und kratzte ihn und biss ihn und trat ihn, damit er sie losließ (und da war das andere, das wussten sie beide, deshalb ihre Wut über seine Berührung, die Raserei, verspätet, nach vierzehn Jahren). So kämpften sie, warfen die Lampen vom Nachttisch, Jakob ringt mit dem Engel, was immer sie war.
    Sie schrie, bis ihr die Stimme versagte und sie nur noch schluchzen konnte. »Fass mich nicht an.« Er hielt sie fest, bis jemand an die Tür klopfte, ein Mal. »Gehst du jetzt ins Gefängnis?«, zischte sie, ein heiseres Fauchen. »Willst du das? Noch ein Sai in den Schlagzeilen?« Er drückte ihre Arme gegen die Wand und presste sich an sie. Zum ersten Mal seit Stunden (oder seit Jahren) begegneten sich ihre Blicke. Sie schaute ihn an, mit zusammengekniffenen Augen, die Tränen strömten stumm. »Ich bin deine
Schwester
«, sagte sie.
    Er ließ los.
    Sie floh ins Badezimmer und knallte die Tür zu.
    Wieder ein Klopfen.
    Er machte die Tür auf, verschwitzt und blutig.
    »Guten Abend, Mr Sai«, sagte der Dienstmann mit unverwandtem Blick. »Ist alles in Ordnung?«
    »Ja, alles bestens.«
    »Ihre Zimmernachbarn haben Geräusche gehört.«
    »Ich habe mir einen Film angeschaut.«
    »Dürfte ich Sie dann bitten, die Lautstärke zu reduzieren?«
    »Der Apparat ist aus.« Er deutete zum Fernseher. »Entschuldigen Sie bitte.«
    »Ist schon gut. Verbandszeug ist in der Minibar.«
    »Vielen Dank.«
    »Gute Nacht.«
    Kehinde setzte sich aufs Bett, fassungslos, erschöpft. Seine Finger zitterten. Das Licht

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