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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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bot nie Antworten an, nachts im Dunkeln, nachdem er getaucht hatte und sich an ihr festklammerte, nass. Damals erschien es ihr normal, neben ihm zu liegen, lebendig in der Gegenwart und tot für die Vergangenheit, mit dem Mann in ihrem Bett, in ihrem Herzen, in ihrem Körper, aber nicht in ihrer Erinnerung und sie nicht in seiner. Es war fast so, als hätten sie einen Schwur geleistet – nicht nur sie beide, sondern ihr ganzer Lincoln-Umkreis in diesen Jahren, kluge Enkelsöhne von Sklaven, begabte Immigranten und Flüchtlinge –, einen Schwur, ihr Schweigerecht gemeinsam hochzuhalten (und auf diese Weise
nicht
ihr früheres Selbst zu bleiben, das zerbrochene, geschlagene, beschämte Selbst, das in Geschichten lebte und schweigend starb). Ein Schwur unter Leidenden.
Aber auch unter Liebenden?
    Sie weiß es nicht. Vielleicht. So vieles, was sie ihn nie gefragt hat. So vieles, was sie ihm nie gesagt hat. Zum Beispiel dieses Sehnen, diese Schmerzen. Sie hat nie darüber gesprochen. »Genug«, seufzte sie immer nur, was er als »Aufhören« deutete, und das tat er dann auch. Er schwamm sanft wieder an die Oberfläche, tauchte auf, weil er dachte, sie sei erschöpft, während in Wirklichkeit genau das Gegenteil der Fall war. Sie hatte Angst vor seiner Erschöpfung. Sie sehnte sich schmerzlich nach mehr. Nach mehr, nach immer mehr, mehr von ihm, nachdem sie sich geöffnet hatte, nachdem sie geöffnet worden war und sich nur noch eines wünschte, nämlich gefüllt zu werden, aber sie hat es nie gesagt, sie hielt ihn nur fest, während sie schweigend dalag und er neben ihr schlief, er erfüllt, sie nicht gefüllt.
Warum hat sie es ihm nie gesagt?
Und andere Dinge auch nicht. Warum hat sie nie ja gesagt, wenn er sie gebeten hat, mit ihm auf diese Partys in Cambridge zu gehen, bei Kollegen in Khaki-Hosen und mit Käsewürfeln auf Zahnstochern und mit Immigranten-Dienstmädchen und dem unvermeidlichen Kind, das nach den Drinks vorgeführt wurde und brav »Für Elise« spielen musste, bevor es ins Bett geschickt wurde. Klar, die Partys fand sie langweilig. Was aber noch schlimmer war – es brach ihr das Herz zu sehen, wie er Bestätigung suchte bei diesen Männern, die viel weniger zu bieten hatten als er, selbst in frisch gebügelten Khaki-Hosen, die kleinen Augen groß vor Hoffnung, dass auch er sich in dieser Welt bald so zu Hause fühlen würde wie sie.
Warum hat sie es ihm nie gesagt?
»Du brauchst sie nicht zu beeindrucken«, hätte sie sagen können, »deine Qualität spricht für sich.« Statt zu sagen, »das Geschirr« oder »Taiwo hat einen Soloauftritt« oder »Olu braucht Unterstützung bei seinem Physik-Projekt«. Statt zu schweigen, protektiv, destruktiv, wie Grasmilben an einer Taglilie, die jahrzehntelang alles wegfressen, ohne dass es einer merkt. Und das Allerwichtigste. Der Präzedenzfall. Wie sie nach Pennsylvania gekommen ist.
    Wie sie ihre Sachen gepackt hat und weggegangen ist.
     
    Wie
: Sie blieb in dem Schlafzimmer in Lagos bis zum Abend, sie konnte sich nicht bewegen, nicht denken, nicht atmen. Den Kopf unter der Decke, die Hände auf der Brust, leer, bis es dunkel wurde. Das Housegirl kam zurück, wie jeden Sonntag, durch die Hintertür. Sie hatte schon das ganze Abendessen zubereitet und den Tisch gedeckt, als ihr auffiel, dass es im Haus so seltsam ruhig war. »Master!«, rief sie die Treppe hinauf und den Flur entlang. »Master, sind Sie zu Hause? Miss Folasadé? Ah-
ah
.« Erst da stand Fola aus dem Bett auf, schweißbedeckt, um zitternd mit dem Fahrstuhl in die Küche im zweiten Stockwerk zu fahren. »Ich bin hier.«
    Das Housegirl Mariama fühlte sofort ihre Stirn, als sie vor ihr stand. »Fieber – du hast Fieber, wo ist dein Vater?«, rief sie.
    Fola zuckte hilflos die Achseln. »Er ist nach Kaduna gefahren.«
    »Nein!«, rief Mariama und sackte sofort in sich zusammen und landete auf dem Fußboden.
    Wie
: Sie saßen einfach nur da, zu zweit und stumm, an einem Esstisch, der für zwei Personen gedeckt war und groß genug für vierzehn. Die Nwaneris auf dem Porträt betrachteten sie, wie sie da hockten. Der schwarze John, ebenfalls sitzend, die weiße Maud neben ihm stehend, die Hand auf der Schulterklappe seiner Uniform. Das Essen stand auf dem Tisch, Folas Lieblingsgericht,
egusi
, aber sie rührten beide nichts an. Nach einer Stunde war alles kalt. Nach zwei Stunden lehnte sich Sena Wosornu, der Partner ihres Vaters in der Anwaltskanzlei, verzweifelt auf die Türklingel. Fola schaute

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