Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Kehindes Kopf auf Taiwos Kopf, bevor sie aufwachen und sich voneinander lösen. Olu sitzt kerzengerade, die Arme auf den Lehnen, seine Beine wippen leicht, Lings Hand liegt auf seinem Oberschenkel. Sadie sitzt hinter ihnen, keiner neben ihr, die Beine untergeschlagen, schaut teilnahmslos hinaus auf die ebenfalls teilnahmslosen Wolken, der Sonnenaufgang eine Nulllinie, grellrot im Schwarz.
3
Fola schleppt ihre Beute ins Haus, vom Garten in die Küche, noch dunkel, sie konnte nicht schlafen, ist hinausgegangen, um das und jenes zu schneiden, schwammige Erde, feucht von der Dämmerung, tropfende Blüten und Erde, legt die Zweige auf die Arbeitsplatte und wischt sich die Hände ab. Sie füllt viel kleine Vasen mit gerade genug Wasser, stellt sechs Zweige in jede und platziert je zwei Vasen in ein Zimmer. Eine auf jeden Nachttisch, so soll es sein. Und wendet sich gerade zum Gehen, als ihr schlagartig klar wird:
Es sind nicht genug Zimmer
.
Es gibt außer dem großen Schlafzimmer nur diese beiden kleinen Räume, eine Unterversorgung, die ihr bis jetzt gar nicht aufgefallen ist, weil sie immer gedacht (oder eher geträumt) hat, wenn sie alle kommen, dann nehmen die Mädchen das schmale Doppelbett und die Jungen die zwei Einzelbetten. Aber mit Ling stellt sich die Frage der Etikette. Fola weiß, dass die Kinder erwachsen sind, und eigentlich ist es ihr auch völlig egal, es würde ihr gut gefallen, wenn sie eine kleine Atempause von dem Schmerz finden würden, indem sie gemeinsam zum Atemrhythmus tanzen, nach Feierabend, aber er ist immer so
pedantisch
, Olu, so korrekt, spricht ein Tischgebet vor dem Essen, geht sonntags in die Kirche und alles (nicht dass sie selbst eine Heidin ist, Jesus ist ein guter Freund von ihr, aber einer, mit dem sie einfach so redet, eben wie mit einem Freund, einem weisen, lieben Freund mit einer gewissen Abgeklärtheit – das ist nicht Olus strenger Jesus mit dem langen Gesicht und den langen Haaren), und sie will auf keinen Fall, dass er sich unwohl fühlt und befangen, schon gar nicht, weil er ja Ling vorher noch nie mitgebracht hat. Olu wäre besser bedient mit einem Zimmer mit Kehinde, dann wäre er, wenn es Zeit wird, schlafen zu gehen, weniger verlegen, würde weniger leiden, aber es bleibt die Frage, wohin mit Ling, denn einen Gast kann Fola ja schlecht aufs Sofa legen. Mit Taiwo in ein Zimmer? Das würde an Herzlosigkeit grenzen, denn Taiwo ist tendenziell nicht besonders nett zu anderen weiblichen Wesen (wobei es ihr selbst mit ihren Geschlechtsgenossinnen auch nicht viel besser ergeht: Alle finden sie anscheinend unnahbar oder zu stolz, nicht mitteilsam genug; sie hat immer sehr schnell genug von ihren Tragödien, von Kosmetik, Romantik, langen Gesichtern, langen Haaren), und Fola möchte gern, dass Ling sich als Teil der Familie fühlt – egal, was »Familie« bedeutet. Lieber ins Zimmer mit dem Doppelbett, zu Sadie – Sadie liebt dünne, hübsche Mädchen wie Ling, ebenso den ganzen Mädchenkram, gemeinsam benutzte Seife und ausgetauschte Geheimnisse – aber dann wäre Taiwo ohne Bett und würde sich ausgeschlossen fühlen. Und wahrscheinlich würde Sadie sich unwohl und befangen fühlen, wenn sie das Bett mit einer Frau teilen soll, denn sie führt sich ja ähnlich nervös und puritanisch auf wie Olu und weigert sich bisher, das Unübersehbare auszusprechen. Fola ist es völlig egal, wen ihre Kinder lieben – und
wo
sie lieben, nebenbei bemerkt, ob im Gästebett oder auf dem Sofa –, solange sie glücklich sind oder jedenfalls nicht allzu unglücklich, also in dem Zustand, in dem sie die vier geboren hat, usw., nur nicht schlechter. Wenn das Baby Mädchen mag oder speziell dieses eine Mädchen, diese Philae (die so fröhlich und ahnungslos wirkt, dass sie ihr Herz nicht allzu grausam brechen wird), dann soll es ruhig so sein, alles okay, aber was bedeutet das für die Zimmeraufteilung? Kann das Baby mit einem Mädchen friedlich in dem Doppelbett schlafen? Oder sieht sie darin eventuell eine Andeutung, dass Fola Bescheid weiß – oder eher, dass sie etwas annimmt. Vielleicht »kennt« sie Sadie nicht, nicht richtig – und ja nicht Baby sagen, sie darf ihre Tochter nicht »Baby« nennen. Sadie ist zwanzig, wie sie an dem Nachmittag betont hat, und zwar seit –
»gestern.« Sie flüstert das laut, mit einem Stechen, oben links.
Gestern war ihr Geburtstag.
Sie hat Sadies Geburtstag vergessen.
Sie schlägt die Hand vor den Mund, schüttelt den Kopf. Ausgerechnet.
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