Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Mariama an. Das Housegirl zitterte, schaukelte vor und zurück, umklammerte ihre Ellbogen und schüttelte den Kopf und sprach stumm mit den Lippen irgendein Gebet. Fola deutete ihr Kopfschütteln als »Geh nicht an die Tür«. Also ging sie nicht. Nach ein paar Minuten verlor Mariama die Nerven. Sie taumelte zum Eingang, und Fola hörte erst Geflüster, dann lautes Schluchzen, dann Senas Bassstimme. »Das Baby hört dich!«, schimpfte er. »Das Baby.« So nannte ihr Vater sie immer, sogar damals noch, und seine Freunde sagten es auch.
Später am Abend kam Sena zu ihr ins Zimmer. Er klopfte, setzte sich auf ihr Bett. Sie lag auf dem Rücken, die Füße an der Wand, auf einem Poster von Lennon, ihr Kopf hing nach unten.
»Fola«, sagte er. »Ich muss dir etwas sagen.«
Sie schaute nicht hoch. »Ich weiß, ich weiß, ich weiß.« Sena stand auf dem Kopf, beugte sich zu ihr.
»Dein Vater …«
»Sag es nicht!«, rief sie und setzte sich auf.
Er sagte, sie müsse ihre Sachen packen; gleich morgen früh würden sie aufbrechen. Seine Eltern lebten in Ghana, bei ihnen sei sie in Sicherheit.
Wenn etwas passiert, bring das Baby nach Ghana. Lass sie nicht hier in Nigeria
, hatte ihr Vater gesagt. Sie packte ein goldenes
aso-oke
, ein Geburtstagsgeschenk von ihm, Schallplatten, seine dicke Kente-Decke und Schlaghosen. Keine Fotos, keine Kleider, keine Teddybären. Die Einzelheiten kamen später. Sie verließen das Haus vor Anbruch der Dämmerung.
Wie
: Auf diesem Flughafen, viel kleiner, genauso voll, landeten sie, mitten im Sommer, Juli 1966 , alle Farben so ganz anders als in Lagos, mehr Gelbtöne, ein Geruch wie der eines zerbrochenen Tongefäßes. Ein Mann mit einem ergrauten Afro begrüßte sie: buschiger weißer Bart, lachende Augen, Lachfältchen wie Flügel. »Und du musst Fola sein.« Er schüttelte ihr die Hand. Sie schüttelte den Kopf. Hatte keine Ahnung mehr, wer sie sein sollte. »Die Leute hier nennen mich ›Reverend‹. Ich bin Pastor Mawuli Wosornu, Senas Vater«, sagte er, aber eigentlich sah er viel zu jung aus.
Das Haus lag in einer von Bäumen gesäumten Straße, die sehr breit war und überall weiße Häuser für die Freunde der Briten, die seltenen Libanesen. Man führte sie in ein rosarot gestrichenes Zimmer, ein sehr komisches Pink, das sie Jahrzehnte später wieder entdeckte, als sie Mulch kaufte. (Bei Home Depot. Sie ging den Gang mit der Farbe entlang, als sie es aus der Ferne sah, nur das Muster, sofort vertraut. Sie las den Namen.
Innocence
. Unschuld. Musste laut lachen, kaufte einen Eimer. Fünfzehn Liter für das Zimmer des Kindes, das Zwillingen folgt.) Sie blieb in der Tür stehen und schaute in den Raum. Reverend Wosornu, hinter ihr: »Und das ist dein Zimmer.« Sie ging hinein und setzte sich auf das schmale Bett, die harte Matratze, starrte auf die bonbonrosa Wände. Schaute dann zu dem Mann in der Tür. Sagte: »Vielen Dank«, legte sich hin und schlief, ohne etwas zu essen, drei Tage lang. Am vierten Tag kam die Ehefrau, Vera Wosornu, um nach ihr zu sehen. Mrs Wosornu sah älter aus, sie sah
alt
aus (vierundfünfzig). Eine fette Frau, abgespannt, kein Glanz in den Pupillen. Sie trug eine schwarze Perücke, die zurückgerutscht war, wodurch der graue Haaransatz sichtbar wurde. »Zeit zum Aufstehen«, sagte sie. »Komm zum Frühstück.« Als Fola sich umdrehte, war die Frau schon wieder weg.
Das Frühstück bestand aus Kakaobrot, Papaya, Eiern, Kaffee. Mrs Wosornu aß geräuschvoll. Dicke, gebutterte Lippen. Reverend Wosornu trank Kaffee und hörte aufmerksam Radio.
Pogrome in Nigeria gehen weiter
. Da stellte er ab. »Sir Charles Arden Clarke ist ein Freund der Kirchengemeinde. Weißt du, wer das ist?«
Fola schüttelte den Kopf.
»Iss«, sagte Mrs Wosornu.
»Der ehemalige Gouverneur der Goldküste. Und der Begründer der Gold Coast International School.«
»Heute heißt das
Ghana International School
«, blaffte Mrs Wosornu. »Iss«, blaffte sie Fola an.
Fola nahm ihre Gabel. Die Befehle dieser Frau waren unfreundlich und energisch; es war fast eine Erleichterung, gesagt zu bekommen, was man tun soll. Sie schob ein Stück Papaya in den Mund, konnte es aber nicht kauen. Also schob sie es hin und her, bis es sich auf ihrer Zunge auflöste.
»Sie haben gesagt, dass du dort aufgenommen wirst«, sagte Reverend Wosornu begeistert. »Innerhalb von zehn Jahren haben sie eine schöne Schule aufgebaut.«
»Du machst dort deinen Abschluss und gehst dann in Amerika aufs
Weitere Kostenlose Bücher