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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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College.«
    »Jawohl, Ma’am.«
    »Sag Mutter zu mir.«
    »Jawohl, Mutter«, erwiderte Fola. Das Wort klang merkwürdig in ihren Ohren. Leer.
    »Schon besser.«
    »Zu mir sagst du am besten einfach ›Reverend‹, nicht Vater. Noch nicht.«
    »Apropos Väter – deiner war sehr freundlich zu unserem Sena.«
    »Vera«,
seufzte der Reverend, aber seine Frau war nicht zu bremsen.
    »Er kann keine Kinder kriegen, unser Sena. Wirklich schade. Der einzige Sohn. Und du weißt ja, was die Leute auf dem Land sagen.« Fola wusste nicht, was die Leute auf dem Land sagten. Die ländliche Redensart wurde vorgetragen mit dem Mund voll Ei. »Die Frau, die nur ein Kind hat, hat kein Kind.«
    Der Reverend lächelte unbeirrt weiter. »Kindersterblichkeit«, erklärte er.
    Wie
: Sie schloss die Highschool ab, sagte selten etwas, aß wenig. Als im folgenden Sommer der Krieg kam, interessierte sie das nicht besonders. Sie überflog die Lokalzeitungen, sah die Fotos, hörte die Gerüchte (abgeschlachtete Zivilisten, verhungerte Kinder, deutsche Fremdenlegionäre, walisisch). Aber das »Nigeria«, von dem sie redeten, war nicht das Land, das sie kannte, nicht ihr Zuhause, kein Ort, den sie vor sich
sehen
konnte, also nicht real. Sie nahm sehr stark ab und bekam erstklassige Noten, weil sie ja alles in Lagos bei ihrem Privatlehrer schon durchgenommen hatte. Ihre Klassenkameraden fingen an, sie »Biafranerin« zu nennen, aus reinem Neid. Die Mitschüler beneideten sie um ihre Haare, um ihre guten Noten, um den tragischen Glanz. Aus Langeweile gestattete sie einem von ihnen, mit ihr zu knutschen. Er wohnte am anderen Ende der Straße in East Cantoments. Yaw. Sah ziemlich gut aus, Sportler, später Soldat, aber bescheiden in seinen Absichten (
wie
: Kweku war der Erste). Sie machte ihre Prüfungen und war die Beste ihres Jahrgangs. Sie schnitt sich die Haare ab, weil sie keine Lust mehr hatte, sie ständig zu bürsten. Ein Stipendium wurde von anderen Freunden der Kirchengemeinde besorgt, für die Lincoln University, an der schon Nkrumah studiert hatte. Eigentlich wäre sie lieber auf das Kings College in London gegangen, wie ihr Vater, aber sie widersprach nicht.
    Zurück zum Flughafen.
    Wie
: Sie überquerte das asphaltierte Rollfeld zum Flugzeug. Es roch nach Regen. Bald würde es losgehen. Sie drehte sich nicht um, um zu lächeln oder zu winken oder um einen letzten Blick auf das Flughafengebäude zu werfen. Sie schaute nicht zum Reverend, den sie eigentlich gern hatte, oder zu Vera, die sie hasste. Deshalb hätte sie ihn fast nicht gesehen, wie er in seinem Dreiteiler angerannt kam. Der Passagier hinter ihr musste ihr auf die Schulter tippen. »Miss?«
    Es war der rundliche Sena, sein Jackett flatterte hinter ihm wie ein kaputter Zaubermantel. »Fola, warte!« Fola blieb stehen. Er keuchte, als er sie erreichte. »Gott sei Dank habe ich dich noch erwischt. Wie geht es dir?«
    Sie zuckte die Achseln.
    »Ich wollte schon die ganze Zeit vorbeikommen. Die Firma läuft noch, ob du es glaubst oder nicht, in Lagos.«
    Sie zuckte die Achseln.
    »Aber ich hätte früher nach dir schauen sollen. Ich weiß.« Jetzt umarmte er sie und steckte ihr etwas zu. Einen Umschlag. »Den hat er hinterlegt. Mach ihn noch nicht auf. Ich hatte Angst, dass meine Mutter ihn stehlen würde, deshalb habe ich gewartet.« Er hielt sie an sich gedrückt, bis sie den Umschlag eingesteckt hatte, dann erst trat er einen Schritt zurück.
»Geh.«
    Wie
: Als sie ankam, öffnete sie den Umschlag. Amerikanische Dollar, makellos gebündelt. Genug für einen Neuanfang und um in Amerika zu bleiben, sie musste nicht fetten Frauen beim Essen zuschauen, sie musste keine Almosen annehmen oder um welche bitten, sie musste nicht hungern oder wieder zu diesem Flughafen in Ghana zurückkehren.
     
    Einer der Passagiere hinter ihr tippt ihr auf die Schulter. »Miss?«
    Sie dreht sich erschrocken um. Der Mann deutet mit dem Finger.
    Und da sind alle miteinander, sehen sie an, warten, hier, auf diesem Flughafen in Ghana.
    2
    »Sie sieht nicht so aus, als würde sie sich freuen, dass wir kommen«, sagt Sadie.
    »Sie steht bestimmt noch unter Schock«, sagt Kehinde zu ihr. »Mach dir keine Sorgen.« Aber er zieht die Ärmel seines Sweatshirts nach unten, um seine Handgelenke zu bedecken, weil er sich Sorgen macht, Fola könnte die Narben sehen.
    »Du erinnerst dich an meine Mutter«, flüstert Olu Ling zu und denkt, wie sehr sich der Flughafen verändert hat, seit er hier war.
    Ling

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