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Eltern. Ich war ihnen kürzlich nach langer Zeit mal wieder über den Weg gelaufen und hatte ein wenig mit ihnen geplaudert. Sein Vater Geo ist Allgemeinarzt, Helga, seine Mutter, eigentlich Fremdsprachenkorrespondentin, die nach der Kinderpause – sie blieb für Sven und seine Schwester insgesamt vierzehn Jahre zu Hause – nicht mehr in ihren alten Job zurückkehrte, sondern als Sprechstundenhilfe in der Praxis ihres Mannes anfing. Ich hatte mich gefreut, sie neulich in der Stadt wiederzusehen.
Wie geht’s eigentlich Helga und Geo? »Ach, passt schon. Die reisen viel. Haben sich halt arrangiert irgendwie.« 39 Jahre sind seine Eltern inzwischen verheiratet. Ich erinnere mich, dass Sven früher mal erwähnte, die Ehe krisele.
»Das Schlimme ist«, sagt er und kratzt mit dem Löffel den restlichen Milchschaum aus seiner Kaffeetasse, »dass meine Mutter vor uns Kindern nicht mehr verbergen kann, dass sie nicht glücklich ist. Die ist richtig verbittert. Vor zehn Jahren flüsterte sie mir immer noch verschwörerisch zu: ›Nichts gegen deinen Vater, aber vielleicht lass ich mich einfach scheiden und fange noch mal ganz von vorn an‹. Das sagt sie jetzt nicht mehr. Sie weiß, dass sie aus dieser Ehe nicht mehr rauskommt. Das würde allein finanziell nicht gehen.« Die Unzufriedenheit habe ihre Lippen schmal werden lassen und ihr Haar weiß. Jetzt, wo Sven es so erzählt, erscheint mir die Begegnung mit seinen Eltern in einem anderen Licht.
Vielleicht hat Sven von seiner Mutter ja doch mehr geerbt als die eisbonbonfarbenen Augen: ein tief sitzendes Unbehagen vor den Spätfolgen fester Beziehungen. Vor diesem Sich-Fügen in Rollen, das mit einer nicht aufgehobenen Tennissocke des Mannes anfängt, sich in der klassischen Haushaltsteilung fortsetzt und letztlich in der finanziellen und emotionalen Abhängigkeit eines Partners endet. Diese ganz bestimmte Unzufriedenheit, wie sie nur manche lange Ehen hervorbringen, eine Bitterkeit, die mit permanentem Genörgel artikuliert oder mit Alkohol ertränkt wird.
»Wir definieren es nicht« – Die Konjunktur unverbindlicher Beziehungsformen
Ich wollte mit der Frage nach Helga und Geo eigentlich bloß unser Gespräch beenden, und doch geht mir vor allem der letzte Teil unserer Unterhaltung noch viele Tage im Kopf herum. Sven ist nicht der Einzige, den ich kenne, der sagt, dass er nicht mehr so gerne zu seinen Eltern fährt.
In meinem Freundes- und Bekanntenkreis gibt es drei Arten von Eltern: Da sind die, die inzwischen dreißig bis vierzig Jahre verheiratet und mehr oder weniger glücklich sind. Dann gibt es die geschiedenen Eltern, die neue Partner haben und diese mitunter alle paar Jahre wechseln. Und zuletzt die dritte Gruppe: Eltern, die ebenso lange zusammen sind wie die erste Gruppe, sich aber entweder permanent streiten oder in einer schweigenden Gleichgültigkeit nebeneinanderher leben.
Jeder dieser Elterntypen prägt das Beziehungsverständnis der Kinder: Ich habe Freunde, die in einem wahr gewordenen Wüstenrot-Werbespot groß geworden sind und dieses Lebensmodell so sehr verinnerlicht haben, dass es ihnen gar nicht schnell genug gehen kann mit Partnerfinden, Für-ein-Eigenheim-Verschulden und Kinderkriegen.
Die zweite Gruppe, die Scheidungskinder, bekommt Panik, wenn ein Mensch mehr von ihnen will als einen Kaffee am Morgen nach dem One-Night-Stand. Oder werfen sich überkompensativ einer Retterfigur in die Arme – nur um ja alles anders zu machen als Mama und Papa.
Und dann gibt’s die, die dem Lebensmodell ihrer Eltern ambivalent gegenüberstehen: Sie wünschen sich die dauerhafte Beziehung, aus der Kinder hervorgehen, aber sie haben einen extrem geschulten Blick dafür, wo die Risse in diesem Glücksprojekt sind, die Sollbruchstellen, durch die die Unzufriedenheit ins Beziehungsgebäude sickert und eine Bitterkeit hinterlässt, die nach verpassten Lebenschancen und Reue schmeckt. Die Kinder dieses dritten Elterntyps sind prinzipiell bindungswillig, aber dauerskeptisch. Hinter Verlässlichkeit vermuten sie Langeweile. Hinter Treue Bequemlichkeit.
Viele Kinder dieses Elterntyps behelfen sich mit dem, was Sven mit »irgendwas läuft immer« meinte. Darunter fällt vieles: Affären, Halbbeziehungen, One-Night-Stands und »Friends with benefits«, also Freundschaft mit gelegentlichem Sex.
Die Konjunktur dieser verhältnismäßig neuen (oder zumindest neu etikettierten) Spielarten zeigt, dass man sich heute in einer bestimmten Lebensphase bewusst gegen die
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