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klassische Zweierbeziehung entscheidet: Diese wird nicht mehr nur als Garant für ökonomische und emotionale Sicherheit und Stabilität wahrgenommen, sondern als etwas, das einen einschränkt; hinsichtlich der »Lebenschancen«, der Wahl des Wohnorts und des Jobs. Und natürlich auch, was die »Liebeschancen« angeht, die Tausenden verpassten (sexuellen) Gelegenheiten, die man in einer monogamen Zweierbeziehung sausen lassen muss. Und so wägen Sven und seine Altersgenossen ganz rational ab: Für welche Person, für welches Beziehungsmodell bin ich bereit, bestimmte Freiheiten aufzugeben? Was habe ich davon? Die Liebe ist zu einer Kosten-Nutzen-Rechnung geworden. Das Paradox der Liebe – von Erich Fromm vor mehr als fünfzig Jahren beschrieben –, »dass zwei Wesen eins werden und doch zwei bleiben«, ist so aktuell wie nie. Die Angst vor Freiheitsverlust und Selbstaufgabe in einer Beziehung beherrscht die Zwanzig- bis Vierzigjährigen heute.
Und auch unter denen, die liiert sind, ist der Wunsch nach Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit seit Ende der Neunziger Jahre gestiegen. Männer und Frauen sehnen sich zwar unverändert nach Intimität, wollen aber ihre Unabhängigkeit nicht aufgeben. Besser man legt sich erst gar nicht fest.
Bindungsangst ist ein schwer messbares Phänomen, aber es gibt Indikatoren: Von den 20- bis 35-Jährigen lebt jeder Vierte allein, insgesamt vier Millionen Menschen. Vor zwanzig Jahren war es noch jeder Sechste. Die Scheidungsrate war im Jahr 2010 so hoch wie nie zuvor in Deutschland.
Unter den 35- bis 37-Jährigen ist jeder Fünfte Single, wobei zwar rund neunzig Prozent von diesen sagen, dass sie auf der Suche nach einem Partner sind. Nur: Das schließt ja nicht aus, dass sie gleichzeitig in irgendeiner Affäre oder Halbbeziehung stecken, gemäß dem Motto: Ich guck mal, vielleicht kommt ja noch was Besseres.
Die Suche lässt sich schließlich unendlich fortsetzen. »Bis du den Richtigen triffst, nimm mich« heißt ein Lied von Bernd Begemann, das dieses Lebensgefühl sehr treffend beschreibt: Zwischen selbst gewählter Ungebundenheit und einer festen Paarbeziehung gibt es Zwischenformen, Übergangslösungen, die für beide Beteiligten passen – bis man eben den Richtigen oder die Richtige trifft.
Vor allem die Halbbeziehung hat so Karriere gemacht. »Wir definieren es nicht« ist der häufigste Satz, den man von den Steffis und Matzes, den Jans und Kathrins hört, die zwar miteinander Sex haben und am Geburtstag anrufen, aber Fluchtreflexe beim Gedanken bekommen, die Eltern des anderen kennenzulernen.
Auch Svens Geschichte mit Michaela war eine solche Halbbeziehung. Am Anfang fand der Unternehmensberater Michaela aufregend und ein bisschen verrucht. Einmal, erzählt er, sei sie nach dem Sex aus seiner Wohnung verschwunden und habe ihren Slip dagelassen – er war um eine Shampooflasche im Bad gelegt, so dass er gar nicht anders konnte, als ihn noch mal in die Hand zu nehmen. So was gefiel Sven. Bedeutungsschwangere SMS und Spontanbesuche am Bahnhof gefielen ihm dann schnell nicht mehr.
»Dabei hätte man von außen durchaus denken können, dass wir ein Paar sind«, gibt Sven zu. »Ich bin beim Fußballgucken mit den Jungs nicht aus dem Raum, wenn sie angerufen hat. Ich hatte eine Zahnbürste und ein paar Hemden in ihrer Wohnung.« Dinge, die für eine klassische Affäre undenkbar wären: ein gewisses Maß an Verbindlichkeit und sexueller Treue.
Einer Halbbeziehung liegt der implizite Vertrag zugrunde, dass das, was ist, das ist, was beiden gerade reicht. Ein bemerkenswert rationaler Prozess: Sich schon vor dem Beginn einer Liebesgeschichte dafür zu entscheiden, wohin das führen soll: nämlich nicht weit. Die Halb-Zusammenen legen ihrem Gefühlshaushalt ein Sparziel auf – und halten im Verlauf der Halbbeziehung eisern daran fest. So gut es geht zumindest. Erfahrungsgemäß will nach einer Weile einer doch mehr. »Alle Lust will Ewigkeit / Will tiefe, tiefe Ewigkeit« – da war sich schon Nietzsche sicher.
Besonders häufig findet sich die Halbbeziehung bei frisch Getrennten, die sich nicht gleich wieder binden wollen. Gerade aus einer langen, womöglich als einengend empfundenen Beziehung entlassen, haben sie Angst, sich früh erneut festlegen zu müssen. Doch es gibt auch die chronisch Bindungsängstlichen: Sie streben nach der Daueraufregung einer Halbbeziehung, weil sie Angst vor der Vergänglichkeit der Leidenschaft haben. Weil sie fürchten (und wissen), dass
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