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Körperpflege. Frauen- und Männerzeitschriften mahnen eindringlich, nicht nachlässig zu werden mit dem Trimmen und Trainieren, dem Schminken und Rasieren. Bloß nichts wuchern lassen, im Intimbereich (Frauen) oder am Rücken (Männer), nicht zu viel in der Schlabberhose herumlaufen, auf keinen Fall die Badtür offen stehen lassen oder Verdauungsprobleme artikulieren. Und wehe figurtechnisch gerät etwas aus der Form …
Die Frage, die hinter all diesen ästhetischen Anstrengungen steht, lautet natürlich: Wie bleibt man für den anderen sexy? Wie schafft man es, den Partner auch weiterhin an sich zu binden, wo doch jenseits der Grenzen der Paarbeziehung so viele attraktive Alternativen warten? Sicher kann man sich angesichts von »zehn Millionen Singles in ganz Europa« nie sein.
Und so ist auch der Sex zur Pflichtübung geworden: Es gibt einen (meist unausgesprochenen) Soll-Wert, den jedes Paar für sich definiert, und wenn der nicht erfüllt wird, spaziert die Krise ins Haus. »Wir sollten mal wieder« – diese Gewissheit steht in den Denkblasen über jedem Langzeitpaar, das sich abends ins gemeinsame Bett kuschelt. Dabei ist die Flaute, so deprimierend das klingt, eine biologische Zwangsläufigkeit: Die sexuelle Gewöhnung führt schon nach drei bis vier Jahren dazu, dass die körpereigene Euphoriedroge Dopamin nur noch spärlich aus den Nervenzellen abgegeben wird. Nach fünf Jahren haben Paare nur noch halb so häufig Sex wie zu Beginn ihrer Beziehung, Tendenz leider: weiter sinkend. Daran beißt sich die gesamte Menschheit die Zähne aus: Wie schafft man es, auch nach zehn Ehejahren, nachdem man statistisch gesehen zwischen 500- und 1000-mal 17 miteinander geschlafen hat, das Ganze noch aufregend zu finden? Oder, um es mit Max Goldt zu sagen: Wie gelingt es, den matt funkelnden Ehehimmel neu zu besternen?
Wenn der Sex in der Beziehung eingeschlafen ist, wirken die Reize außerhalb des eigenen Schlafzimmers umso verführerischer. Ob die allzeit verfügbare Internet-Pornografie oder die Option, Seitensprünge unkompliziert in Portalen wie »C-Date« oder »Secret« zu arrangieren: Die Möglichkeit zur schnellen Dopamin-Zu- und Trieb-Abfuhr ist allgegenwärtig.
Gleichzeitig ist vieles von dem, was früher als extrem galt und nur heimlich oder außerhalb einer Partnerschaft praktiziert werden konnte, heute im Mainstream angekommen. Ob SM , Analsex oder Sex zu dritt: Wir leben in einer Zeit, in der diese sexuellen Spielarten nicht nur gesellschaftlich akzeptiert sind, sondern auch als »auslebbar« in einer normalen Zweierbeziehung erachtet werden.
Die Partnerschaftsoptimierung, die beim Kosmetiker und im Badezimmer anfängt, darf am Schlafzimmer nicht Halt machen, so die einhellige Meinung. Vor allem da nicht! Man muss an seiner sexuellen Performance arbeiten, hat bitte schön offen zu sein für die Bedürfnisse des anderen. Das Recht auf sexuelle Treue ist schneller verwirkt, als man denkt. Wie, du willst nicht jedes Mal das Kamasutra durchturnen? Du kannst deine sexuellen Fantasien nicht auf Knopfdruck benennen? Du bist Sexspielzeugen gegenüber nicht aufgeschlossen? Dem Vorwurf der Prüderie will keiner ausgesetzt sein.
Arnold Retzer, einer der bekanntesten Paartherapeuten Deutschlands (von meinem Besuch bei ihm werde ich später ausführlich berichten), erzählte mir, dass die häufigsten sexuellen Beschwerden von Paaren früher körperlicher Natur waren, vorzeitiger Samenerguss oder Scheidenkrämpfe etwa, also Probleme, die sich aus mangelnder Übung ergeben haben. Heute ist das häufigste Problem von Paaren angebliche Lustlosigkeit: »Moderne Paare glauben, sie müssten immer wollen. Aber wenn man immer muss, dann kann man nicht«, sagt Retzer.
Die Attraktivitätsanstrengung der modernen Liebenden folgt dem gesellschaftlichen Bewusstsein für die Bedeutung von Prävention: Vorsorge ist »in«, man hat achtsam mit sich, seinem Körper, seiner Beziehung umzugehen. Und genau wie Rückenübungen einem Bandscheibenvorfall und das Benutzen von Zahnseide einer Wurzelbehandlung vorbeugen sollen, sind Paare sich im Klaren darüber, dass Beziehungsglück etwas ist, worum man sich pro-aktiv (auch so ein Wort) zu kümmern hat – und zwar nonstop. Nicht, dass man vom Partner irgendwann künstlich entfernt wird, so wie eine marode Bandscheibe oder Zahnwurzel.
Kein Streit im Schlafzimmer – Wie Paare heute Konflikte lösen und wer ihnen dabei hilft
Auf dem Spielplatz vor dem Jüdischen Museum in München toben
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