Diesen Sommer bin ich dein
konnte das Blut fast riechen.
Sie hatte kurz
erwogen, das Thema zu wechseln, wie sie es letzte Nacht so erfolgreich getan
hatte. Aber diese beiden Gelegenheiten, die sich oberflächlich so sehr
ähnelten, waren letztlich vollkommen verschieden. Der unselige Zwischenfall mit
Sydnam Butler heute Abend im Salon hatte alle Bandagen fortgerissen, mit denen
Kit notdürftig die klaffende Wunde seines tiefsten Schmerzes zu bedecken
versucht hatte. Heute Abend wäre es grausam, undenkbar, unverzeihlich gewesen,
ihn zu unterbrechen. Heute Abend hatte er sein Gewissen entlasten müssen,
vielleicht dringender, als er jemals zuvor in seinem Leben etwas hatte tun
müssen.
Und so hatte sie
sehr gerade und still auf der breiten Samtbank gesessen, die Füße nebeneinander
auf dem Boden, die Enden ihres Tuches fest in den Fäusten, entschlossen, bei
Bewusstsein zu bleiben und gegen das Klingen in ihren Ohren und die Kälte in
ihrem Kopf anzukämpfen. Es war unwichtig, dass sie eine vornehm und korrekt
erzogene Lady war. Sie hatte dem Drang widerstanden, sich auf den Wind und den
Regen draußen zu konzentrieren. Sie hatte jedem einzelnen Wort aufmerksam
gelauscht.
Sie war nicht
zurückgeschreckt oder hatte der Ohnmacht nachgegeben. Sie wusste, wie es sich
anfühlte, allen Schmerz in sich zu verschließen, seinen Kummer nicht einmal mit
dem besten Freund zu teilen. Sie wusste alles über Schmerz und Einsamkeit und
sogar Verzweiflung. Vielleicht war das der Grund dafür, warum er sie als
Zuhörerin erwählt hatte, selbst wenn es keine bewusste Wahl gewesen war.
Vielleicht erkannte er in ihr einfach eine Seelenverwandte.
Er hatte zweifellos
richtig gehandelt. Sie hatte es ihm gesagt, und natürlich musste er es auch
selbst wissen. Aber sie erkannte auch, dass dieses Wissen seinen Schmerz nicht
wirklich lindern konnte. Sie wusste, dass er sich niemals verzeihen könnte,
nicht das Falsche getan zu haben. Es war sinnlos, Wörter aneinander zu reihen.
Sie saß ruhig da und wartete ab, gab ihm alle Zeit, die er brauchte. Sie war
froh, dass er die Tür zur Galerie hinter ihnen geschlossen hatte. So bestand
keine Gefahr, dass jemand hereinplatzte, bevor er wieder bereit war, der Welt
entgegenzutreten.
Nach einer Weile,
als sie spürte, dass es der richtige Zeitpunkt war, erhob sie sich schweigend
und näherte sich ihm. Sie legte die Arme von hinten um seine Taille und lehnte
ihre Wange an seine Schulter. Sie wollte ihm um jeden Preis allen Trost ihrer
Gegenwart gewähren. Sie spürte, wie er langsam und tief einatmete. Sie spürte
und hörte seinen Atem zitternd wieder entweichen. Und dann wandte er sich um
und umarmte sie, presste sie mit Armen wie mit Eisenbändern an sich. Sie bekam
kaum mehr Luft, aber sie erschrak nicht und wollte sich nicht befreien. Er
brauchte sie.
Schlicht und
einfach gesagt: Er brauchte sie. Und es kam ihr keinen Moment lang in den Sinn,
sich seinem Bedürfnis zu widersetzen. Als sein Mund den ihren fand, geschah
dies hart und drängend, er presste ihre Lippen gegen ihre Zähne, er tat ihr
weh, er drückte ihre Zähne auseinander. Seine Zunge tauchte tief in ihren Mund
ein. Eine seiner Hände, die um ihren unteren Rücken gespreizt lag, presste sie
fest an sich und ließ keinerlei Zweifel zu, dass er ein körperliches Verlangen
verspürte.
Sie fühlte sich
seltsam losgelöst. Der Teil von ihr, der Lauren Edgeworth war, die vollkommene
Lady, stand ein Stück entfernt, analysierte kühl, erinnerte sie mahnend, dass dies die unausweichliche Konsequenz all der Unschicklichkeit war, die ihren
Umgang mit ihm von Anfang an kennzeichnete - von genau dem Moment an, als
sie ihn im Hyde Park über die Schulter hinweg angeschaut hatte. Dies war die
Konsequenz dessen, immer wieder mit ihm allein gewesen zu sein, sich
entschlossen zu haben, ihrer und seiner Familie eine Verlobung vorzugaukeln. Dies
war die Art ungezügelte, gefährliche Leidenschaft, die durch das unziemliche
Gespräch über Gewalt freigesetzt wurde, das sie zugelassen hatte, als sie
hinter verschlossenen Türen zusammen allein waren.
Dies musste sofort aufhören!
Der andere, weniger
vertraute, fast noch unbekannte Teil ihrer selbst, der in Vauxhall zum Leben
erweckt worden war - oder vielleicht schon viel früher, im Park -,
blieb in seinen Armen gegenwärtig und erkannte, dass sie eine Frau war, dass er
sie brauchte, dass sie ihm Wärme und Weiblichkeit und Menschlichkeit anbieten
konnte. Und die Freiheit, alles zu geben, wenn sie es wollte.
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