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Dieser eine Moment (German Edition)

Dieser eine Moment (German Edition)

Titel: Dieser eine Moment (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Wortberg
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mir aus«, sagt Jan und beginnt, die Werkzeugtasche zusammenzupacken.
    Der überraschte Blick seiner Mutter, als er heute Morgen in die Küche kam und sich wortlos an den Frühstückstisch setzte. Sein Vater ist wie üblich in seine Zeitung vertieft, Maja schüttet Milch auf ihre Cornflakes.
    »Heute ist meine Aufführung«, sagt sie aufgeregt.
    »Ich weiß, Prinzessin.«
    »Du kommst doch auch.«
    »Na klar.«
    »Versprochen?«
    »Glaubst du, ich würde mir so was Tolles entgehen lassen?«
    Er trinkt hastig einen Kaffee, schlingt ein Brot hinunter.
    »Bis später«, sagt er und greift nach seiner Jacke.
    Nur weg, denkt er, den Blick seiner Mutter im Rücken. Bloß keine Erklärung ...
    Der Imbiss liegt in einem Industriegebiet, zwischen Bürogebäuden und Montagehallen. Ein umgebauter Wohnwagen mit einem Vorbau aus Holz und Glas, mit Wellblech gedeckt. Zur Straße hin ein kleiner Parkplatz, die Reifen ihres Firmenwagens knirschen auf dem dunklen Schotter. Der Geruch nach Bratfett steigt ihm in die Nase, als sie den ungeheizten Anbau betreten.
    »Such dir was aus«, sagt der Meister, »ich lad dich ein.«
    »Currywurst«, sagt Jan und schaut sich um. Stehtische, an denen Lkw-Fahrer und Arbeiter stehen, Bier in Plastikbechern, Schaschlik und Frikadellen in Pappschalen. Das Rascheln einer Boulevardzeitung, eine Frau löst ein Kreuzworträtsel, jemand füllt einen Lottoschein aus.
    Jan stellt sich an den letzten freien Tisch. Der Meister kommt vom Tresen dazu, in den Händen eine Schale Currywurst und einen Pappteller mit einem Jägerschnitzel und Pommes frites.
    »Nehme ich immer hier«, sagt er und deutet auf das Schnitzel. »So gut kriegst du das nirgendwo sonst.«
    Er fängt an zu essen. Jan starrt auf die rote Plastiktischdecke. Eingetrocknete Wassertropfen, Spuren vom letzten Wischen. Ein verklebter Salzstreuer aus Glas, in seinem Inneren Reiskörner wie Gefangene. Ein Bierdeckelständer mit dem Aufdruck einer Brauerei, ein Zahnstocherspender. Er fühlt sich unwohl, der Meister hat ihn noch nie zum Essen eingeladen, er weiß nicht, was das bedeuten soll.
    »Was ist? Keinen Hunger?«
    »Doch, doch.«
    Er spießt ein Stück Currywurst auf, beginnt lustlos zu kauen. Der Meister mustert ihn. Trotz der Kälte stehen auf seiner Stirn kleine Schweißperlen. Er schneidet sich ein Stück Fleisch ab, tunkt es in die Jägersoße. Die Champignons darin sehen aus wie aus der Dose.
    »Du weißt, warum ich dir die Lehrstelle gegeben habe?«
    »Nein«, sagt Jan, obwohl er weiß, was jetzt kommt.
    »Weil ich deinen Vater kenne. Um ihm einen Gefallen zu tun. Ich bin nur nicht mehr sicher, ob das richtig war.«
    Er schiebt sich die Gabel mit dem soßengetränkten Fleischstück in den Mund, seine Zähne sind vom jahrelangen Rauchen gelb geworden. Er beginnt zu kauen, dabei schaut er Jan weiter an. Sein Blick durchdringt ihn, als könne er seine Gedanken lesen.
    »Hast du dich schon mal gefragt, ob der Job wirklich der richtige für dich ist?«
    Jan antwortet nicht. Was sollte er darauf auch antworten. Dass er die Lehre hasst, diese Wiederholung ewig gleicher Handgriffe und Abläufe, die schon seit Monaten nur noch Routine sind?
    »Solltest du«, sagt der Meister. »Man muss lieben, was man tut, sonst geht man daran kaputt.«
    Wieder fährt sein Messer durchs Fleisch, wieder führt er die Gabel an die Lippen. In seinen Mundwinkeln Spuren der Jägersoße.
    »Man muss sich Ziele setzen im Leben«, sagt er, »sonst wird man unzufrieden. Hast du Ziele?«
    Nein, denkt Jan, nicht, dass ich wüsste. »Sicher«, sagt er. »Hat doch jeder.«
    Nicht zum ersten Mal fragt er sich, warum er sich dem Wunsch seines Vaters so leichtfertig gebeugt hat, warum er sich nie wirklich darum gekümmert hat, was er selbst will. Das Gefühl, in etwas hineingezogen worden zu sein, das ihm fremd ist und zuwider. Abscheu. Seinem Leben gegenüber, sich selbst gegenüber.
    »Das mit der Lehre war nicht deine Idee, oder?«
    »Nein«, sagt Jan.
    »Das hat dein Vater sich ausgedacht.«
    »Ja«, sagt Jan.
    »Damit du irgendwann seine Firma übernimmst.«
    »Ja«, sagt Jan.
    »Und? Willst du seine Firma irgendwann übernehmen?«
    »Nein«, sagt Jan, »nicht wirklich.«
    »Dann ist es besser, du suchst dir was anderes. Sonst wirst du unglücklich.«
    Jan schaut auf die Pappschale vor sich. Wurststücke, die unter einer gelben Haube aus Currypulver im Ketchup ertrinken. Der Wunsch, alles hinter sich zu lassen.
    »Denk drüber nach«, sagt der Meister. »Und wenn du zu

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