Dieser eine Moment (German Edition)
einer Lösung gekommen bist, sagst du mir Bescheid.«
»Ist gut«, sagt Jan.
Der Meister klopft ihm auf die Schulter. »Und iss endlich deine Wurst. Ist ja schon ganz kalt.«
17
Ein Lkw hat Material angeliefert. Kupferrohre in verschiedenen Längen und Durchmessern, Leitungsabdeckungen aus Kunststoff, Kartons mit Schraubverbindungen und anderen Kleinteilen. Jan und Dario sollen sie im Lager einräumen. Der Meister nennt das »von der Pike auf lernen«. Sie hassen es.
Endlose Reihen von Leuchtstoffröhren, die das Lager in kaltes, bleich machendes Licht tauchen. Deckenhohe Stahlregale, meterlang. Der Boden mit steingrauer Industriefarbe gestrichen.
Sie sortieren die Kupferrohre, wuchten sie auf in der Wand eingelassene Halterungen. Dario stellt gute Laune zur Schau. Statt seiner üblichen Sprüche aufgesetzte Freundlichkeit, ohne dabei ein Wort zu verlieren. Jan fragt sich warum. Er schaut Dario an, sucht in seiner Miene nach Deutbarem, irgendeinem Anzeichen dafür, was in seinem Kopf vorgeht. Aber er findet nichts. Prallt stattdessen ab an seinem festgefrorenen Lächeln, das ihn von Minute zu Minute unruhiger werden lässt. Irgendetwas stimmt nicht.
Mit einem Messer schlitzt Dario einen der Klebestreifen auf, mit denen die Kartons verschlossen sind.
»Du steckst ganz schön in der Scheiße«, sagt er betont beiläufig und zieht in Plastik eingeschweißte Päckchen mit Kleinteilen aus dem Karton, trennt sie mit seinem Messer auf und beginnt, Muffen und Muttern in entsprechende blaue Kunststoffboxen zu werfen, die in einem der Lagerregale stehen. Minutenlang geht das so, seine Bewegungen sind von aufreizender Lässigkeit, jedes Mal begleitet vom harten Scheppern von Metall, das auf Metall trifft, während Jan sich fragt, was er mit seiner Bemerkung meint. Das Gespräch mit Laura fällt ihm ein, ihre Drohung, mit Dario zu reden.
»Weißt du, wer mich heute in der Mittagspause angerufen hat?«, fragt Dario wie zur Bestätigung und dreht sich grinsend zu ihm um. »Deine Freundin.«
Jan stellt sich vor, wie das Regal sich aus seiner Verankerung löst und Dario unter sich begräbt.
»Nettes Mädchen«, sagt Dario und beginnt, die Seitenteile der leeren Kiste an den Kanten aufzutrennen. »Ich dachte erst, sie hat sich verwählt, aber sie wollte tatsächlich mit mir reden. Du kannst dir denken, worüber.«
»Nein, kann ich nicht«, sagt Jan, verzweifelt bemüht, sich seine Verwirrung nicht anmerken zu lassen.
»Ich will mich nicht in eure Beziehung einmischen, aber es ist schon ziemlich bescheuert, ihr zu erzählen, dass wir zwei ein Bier zusammen trinken gehen, wo wir uns doch so gut leiden können.«
Jan spürt, wie ihm die Knie weich werden.
»Du wirst verstehen, dass ich sie aufklären musste«, sagt Dario. »Und nicht nur darüber.«
Wovon redet er, was meint er?
Dario drückt die Seitenteile der Pappkiste nach innen. »Ich war gestern mit einem Kumpel verabredet. Und auf dem Weg zu ihm, nur ein paar Straßen von seiner Bude entfernt, fallen mir plötzlich die Augen aus dem Kopf.« Er klappt den Boden der Kiste zusammen und beginnt darauf herumzutrampeln. »Und jetzt rate mal, warum.«
»Interessiert mich nicht.«
»Glaube ich dir nicht.«
»Dann lässt du’s eben«, sagt Jan, während eine Ahnung in ihm aufsteigt, dunkel und drohend.
»Lange blonde Haare«, sagt Dario, hebt seine Hände, spreizt seine Finger und fuchtelt damit vor Jans Gesicht herum. »Dunkle Sonnenbrille. Spinnenfinger, mit denen sie an dir rumgefummelt hat.«
Worte wie Säure, die sich auf Jans Gesicht verteilt, in seine Poren dringt, seine Haut verätzt.
»Hast du Laura davon erzählt?«, hört er sich fragen. Seine Stimme nur noch ein Kratzen, heiser und brüchig.
»Wie gesagt, ich will mich nicht einmischen«, sagt Dario mit gespieltem Bedauern. »Geht mich ja auch eigentlich nichts an.« Er kostet jedes seiner Worte aus. »Aber was hätte ich sonst tun sollen?«
Jan starrt ihn an. Zwischen den Regalen taucht Malte auf.
»Was hat er denn?«, fragt er. »Sieht ja ganz blass aus, unser Jan, richtig bleich.«
»Kopfschmerzen«, sagt Dario lächelnd, »ganz schlimme Kopfschmerzen.«
18
Um ihn herum das Tosen des Feierabendverkehrs. Autoscheinwerfer, die wie Kometenschweife an ihm vorbeifliegen. In ihm Stille, eine merkwürdige Form von Abwesenheit. Das Freizeichen in seinem Ohr, Signale aus einer anderen Welt.
»Laura?«
Schweigen am anderen Ende der Leitung. Ihr Atem, den er deutlich spürt, auch wenn er ihn kaum hören
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