Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
meine Frau, die mich nicht verlassen hat, selbst als sie erfuhr, dass ich eine langjährige Affäre mit meiner Mitarbeiterin hatte. Ich hätte verstanden, hätte sie es getan; es war schlimm, verdammte Gefühle. Dass du mit mir verheiratet geblieben bist, Gerti, das bedeutet mir viel. Das ist pures Glück für mich. Denn ich fühle mich auch jetzt immer noch so geliebt von dir, wie ich nun mal bin. Vielleicht hast du mich auch nur deswegen nicht verlassen, weil du keine Alternativen für dich sahst. Eine Ehe ist immer auch ein Kräftespiel, nicht wahr? Ich erinnere mich an die ersten Jahre, in denen ich dich immer wollte, du mir aber die kalte Schulter gezeigt hast. Erst als ich einer anderen Frau in die Augen schaute, hast du mich doch genommen. Auch du hast die Bedrohung von außen gebraucht, um zu wissen, dass das, was du hast, gut genug für dich ist.
Ob ich ein guter Vater für meinen Sohn war? Diese Frage hat mich mehr beschäftigt, als ich es mir habe anmerken lassen. Habe ich Markus wirklich das gegeben, was er braucht? Ich habe nie viele Worte gemacht, wie Männer halt so sind. Auch habe ich mich nie getraut, dich ins Gesicht zu fragen, ob du deinen Vater als Vater gut findest. Gehofft habe ich es aber immer. War es denn wirklich wichtig, dass ich bei deinem ersten Handballturnier dabei war und deiner Mannschaft zugeschaut habe? Hast du daran festgemacht, ob ich ein guter Vater war oder ob ich mich doch nicht für dich interessiere? War es wichtig für dich, ob ich zu Hause war, wenn du eine Prüfung hinter dich gebracht hattest? Ich weiß es nicht. Leider habe ich nie den Mut gehabt, dich zu fragen, was dir wichtig ist. Was dir in unserer Vater-Sohn-Beziehung wichtig ist. Jedenfalls sind es die gemeinsamen Reisen, an die ich mich gerne erinnere. Weißt du noch, als wir in Neapel waren und du dich übergeben musstest, weil dir das Essen im Hafenrestaurant nicht bekam? Als du mich beim Tischfußball in irgendeiner Eckkneipe besiegt hast? Ich wünsche dir, dass du stets das kannst, was du können möchtest. Ganz gleich, was du machst. Anders als bei mir. Vielleicht habe ich auch deswegen immer an meinem mir selbst gemachten Druck gelitten, weil mein Vater ihn mir gemacht hat. Erwartungen der Eltern– sie können eine Hypothek sein. Ich hoffe, du bemerkst, dass ich dir genau das immer ersparen wollte. Zwar wollte ich immer von mir selbst zu viel, aber nie von dir.
Walter Prescher, 65 Jahre, Knochenkrebs
verstorben im Juni 201*
Manchmal hat mich das innerlich zerrissen
Die schönste Zeit in meinem Leben war die, als ich noch keine Kinder hatte. Das soll jetzt bitte nicht falsch rüberkommen, vor allem bei meinen beiden Kindern Jana und Christof nicht. Ich liebe meine Kinder. Trotzdem hätte ich mir nie vorstellen können, mit welchem immerwährenden Verantwortungsgefühl und mit wie vielen inneren Konflikten diese Entscheidung verbunden war. Früher war ich halt nur für mich selbst verantwortlich, und das fühlt sich im Rückblick so herrlich leicht an. Leicht wie eine Feder. Konnte nach Hause kommen, wann ich wollte, mich ohne Babysitter-Organisation verabreden, wann ich wollte, und um 20 Uhr im Konzertsaal oder im Kino sitzen, statt Gute-Nacht-Geschichten vorzulesen. Natürlich hätte ich auch ausgehen können, aber ich bin so ein Typ Mensch, der nichts genießen kann, wenn er weiß, dass er eigentlich noch woanders in der Pflicht steht. Ich fühle mich meinen Kindern gegenüber verpflichtet. Mit ihren Hausaufgaben, mit ihrer Gesundheit, mit ihrer Erziehung. Und das ist so zeitraubend. Kinder haben ein ganz anderes Timing als Erwachsene. Ich war durch meine Arbeit immer gewohnt, alles höchst effizient und schnell zu erledigen. Nach der mittleren Reife habe ich eine Ausbildung zur Europasekretärin gemacht und mich bei einem global tätigen Reiseveranstalter zur Chefsekretärin hochgearbeitet. Darauf bin ich auch stolz. Die interne Ausschreibung der Chefsekretärinnenstelle habe ich nämlich durch meine Sprachkompetenzen gewonnen. Ich kann Spanisch, Französisch und Italienisch fließend in Schrift und Wort, Englisch sowieso. Es gab zwei Kolleginnen, die sich auch beworben hatten, aber von denen habe ich vorher herausgefunden, dass die in wenigstens einer der Sprachen mehr Verbesserungsbedarf bei der Grammatik und im Vokabular hatten als ich. Solche Sachen sind meinen Chefs nämlich nach wie vor wichtig, und das war meine Chance. Da hat sich dann auch ausgezahlt, was mein Vater mir immer gesagt hat:
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