Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
Wachkoma-Patient, der hier im selben Zimmer neben mir liegt, gestorben ist, dann bekomme ich dieses Zimmer ganz für mich. Dort, wo jetzt sein Bett steht, soll dann meine Sofaecke hin. Trotzdem will ich es nicht akzeptieren, dass ich nicht bis zum Schluss zu Hause in meiner Wohnung sein kann. Dort fühle ich mich wohl. Hier nicht. Ich weiß nicht, wohin mit mir und meinen Gedanken. Aber es tut schon mal gut, meine Not einfach auszusprechen.
Karl Schmidt, 92 Jahre
verstorben im Februar 201*
Solange ich noch einigermaßen gesund bleibe, würde ich gerne noch so ein bisschen leben wollen
Die Heirat mit Franz war ein absoluter Glücksfall. Schon als Kinder kannten wir uns, haben schon zusammen Weihnachtsgedichte aufgesagt. Natürlich haben wir damals noch nicht gedacht, dass wir mal heiraten werden. Wir sind in zwei verschiedene Tanzschulen gegangen. In meiner Tanzschule war am 10 . Februar 1940 ein Ball. Ich wollte dort unbedingt hingehen, aber meine Mutter hat gesagt, das kommt nicht infrage. Es war ja Krieg, alles war verdunkelt draußen. Dann hat irgendjemand gesagt, frag doch mal den Franz, ob der mitkommt. Beim Walzer hat es dann gefunkt. Achtundsechzig Jahre lang waren wir verheiratet. Bis mein Mann gestorben ist.
Einen Bruch oder Tiefpunkt gab es in unserer Ehe nicht. Wir haben uns nie gezankt. Und wir haben Glück gehabt. Mein Mann war Soldat in Afrika und Russland, ist aber immer wieder gesund nach Hause gekommen. Ich hatte Zwillinge und keine Nahrung, als ich sie gebar; da sind alle beide im Krankenhaus geblieben. Den Jungen haben sie umgestellt auf eine andere Nahrung, die hat er nicht vertragen, und da ist er gestorben. Daraufhin ist mein Mann hingegangen und hat gesagt, er möchte das Mädchen abholen. Innerhalb von einer Woche hat sie 400 Gramm zugenommen, und alles war gut. Ich hatte aufgehört zu arbeiten, was ich heute an meiner Rente deutlich spüre. Als Kontoristin in einer Buchbinderei habe ich allerdings eh nicht viel verdient. Aber dafür habe ich meine Tochter schön erziehen können. Bloß ist die leider verstorben. Mit 62 Jahren, an einer Grippe. Mein Mann ist einen Tag nach ihrer Beerdigung gestorben. Ob der das nun nicht verkraftet hat, dass seine Tochter tot war? Ich weiß es nicht. So war es halt.
Was ich im Leben gelernt habe, ist, dass ich mit allem fertigwerden muss. Und das geht besser, wenn man zufrieden ist mit dem, was man erlebt. Als Kind, als junge Frau, als ältere Frau– mit allem, was ich erlebt habe, war ich jeweils zufrieden. Das klingt ein wenig unspektakulär heutzutage, oder? Besonders stolz auf irgendwas bin ich eigentlich nicht. Einen Lebenstraum hatte ich auch nicht. Dass Franz und ich uns gut vertragen haben und achtundsechzig Jahre glücklich verheiratet waren, das ist ja schon viel wert. Ich hoffe, dass ich ihn noch mal oben im Himmel treffe. Wir hatten eine so schöne Ehe. Beide sind wir gern in die Oper gegangen, sind gerne verreist, auch in die Berge, insofern hatten wir auch immer denselben Geschmack. Wir waren uns auch immer einig. Eine bessere Ehe kann man sich einfach nicht vorstellen. Wenn man heute die Leute so hört, was die so erzählen, dann kommen die nicht so weit. Schon nach ein, zwei Jahren trennen die sich wieder. Meine Tochter, die war auch zwei oder drei Mal verheiratet. Mit dem jetzigen Mann hat sie sich gut verstanden, aber nun ist sie ja gestorben. Mein Schwiegersohn tut mir leid. Als Mann übrig zu bleiben ist vielleicht auch nicht gerade schön.
Solange ich noch einigermaßen gesund bleibe, würde ich gerne noch so ein bisschen leben wollen. Wünsche habe ich keine mehr.
Ich habe für mein Leben gern schon immer Rätsel aller Arten gelöst. Ich mag, dass ich was weiß. Dinkel zum Beispiel ist eng verwandt mit dem Hafer, dem Weizen und dem Roggen. Oder Buchstabensalat wie WLIE . Da kommt dann wahrscheinlich WEIL raus. Was ich raten kann, rate ich. Was ich nicht kann, lass ich sein.
Ich liebe Tiere. Der letzte Wellensittich, den wir hatten, der hat unglaublich gut gesprochen. Das war einmalig. Der hat gesagt: Peter Frommholz, Kissinger Weg 28. Oder er piepte: Komm in die Küche! Einmal bin ich mit dem Fuß an den Nähkasten gekommen, das hat total gescheppert, und da hat er gesagt: Was macht denn die Mutti da? Ein anderes Mal ist er auf die Schulter meines Mannes geflogen und hat gerufen: Na, du Oller, bist du Muttis Süßer? Also dieser Vogel war einzigartig. Ich konnte ihn streicheln, oft saß er auf der Schulter, hat ein paar Töne
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