Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
rauszuflüchten, wie ich es getan habe. Das ist die große Selbstlüge, der ich zeit meines Lebens aufgesessen bin.
Jetzt denkt ihr sicher, was redet der so klug daher. Tja, ich frage mich auch, warum ich das erst jetzt kann. Manche von euch werden mich mit meinen Einsichten wahrscheinlich gar nicht wiedererkennen. Denn die Fähigkeit zur Einsicht habt ihr mir ja immer abgesprochen. Aber jetzt, mit meinem Ende vor Augen, jetzt geht es plötzlich.
Noch eine Lüge hat mich seit Jahren belastet– wer weiß, vielleicht kommt daher sogar der Tumor, an dem ich laut den Ärzten bald sterben werde. Ich konnte meiner Frau Diana gegenüber nicht ehrlich sein. Bis heute nicht. Ich habe es einfach nicht geschafft. Nach knapp zehn Jahren Ehe habe ich eine andere Frau geschwängert. Dabei wollte ich einfach nur mal wieder etwas Abwechslung im Bett. In den Puff hätte ich gehen sollen. Dann wäre das alles nicht passiert. Die Seitensprung-Frau konnte ich nicht dazu überreden, das Kind nicht zu bekommen. Insgeheim hatte sie, glaube ich, gehofft, dass sie damit Druck auf mich machen kann. Dass ich mich deswegen von Diana trenne. Vielleicht nicht sofort, sondern nach ein paar Jahren. Wenn ich dann sähe, wie ähnlich mir mein Sohn sieht und wie gut er sich entwickelt, dann müsste ich mir doch ein Herz fassen und überlaufen.
Ich konnte es nie. Dazu war ich zu feige. Diana, du wirst das höchstwahrscheinlich erst erfahren, wenn es mich nicht mehr gibt. Ich schaffe es einfach nicht, es dir ins Gesicht zu sagen. Dabei hättest du nichts mehr als genau das verdient. Ich fühle mich unendlich schlecht mit dieser Lüge dir gegenüber. Möglicherweise ist sie es, die mich jetzt auch das Leben gekostet haben wird. Natürlich habe ich immer wieder darüber nachgedacht, ob ich ehrlich sein soll oder nicht. Und mich gefragt, wie du wohl reagieren würdest. Ob du denken würdest, ich hätte unsere Ehe verraten, nur weil ich ein paar Mal mit einer anderen Frau geschlafen habe. Oder ob du mir verzeihen würdest. Aber dann schlug meine Feigheit wieder durch. Jedenfalls besser auf diesem Weg als gar nicht sollst du wissen, dass es nichts, aber auch gar nichts damit zu tun hat, dass du nie schwanger werden konntest. Du weißt ja, das hat mir nie etwas ausgemacht. Ich wollte nur mal wieder Spaß beim Sex. Den hätte ich mit dir auch wieder haben können, hätte ich mich nur getraut, es mit dir anzusprechen. Stattdessen habe ich mein Leben verbockt.
Es tut gut, dass es jetzt raus ist. Aber jetzt ist es auch zu spät.
Axel Huber, 48 Jahre
verstorben im Juni 201*
Obwohl es nicht meine Kinder waren
Am liebsten möchte ich aus dem Fenster springen, da oben hin, in den Himmel, so schnell wie möglich. Ich bin aus Breslau in Schlesien, und nach dem Krieg fand ich meine Frau mit diesen zwei Söhnen. Wir hatten als Ehepaar schöne Jahre zusammen. Aber ich weiß nicht, ob ich diese Frau mit diesen beiden Kindern hätte nehmen sollen, ich weiß es einfach nicht. Nicht wegen der Frau frage ich mich das, sondern wegen der Söhne. Das war alles so kompliziert. Irgendwie waren sie nie meine Kinder, und dann wiederum doch. Ich habe mich jedenfalls verantwortlich gefühlt wie ein richtiger Vater und mein Bestes gegeben. Da kam aber nie was zurück. Was habe ich auch erwartet? Dankbarkeit? Ja, die habe ich erwartet, wenn ich ehrlich sein soll. Warum auch nicht. Ich habe alles versucht, denen ein Ansprechpartner zu sein, wenn sie Probleme hatten. Habe auch das Ferienlager bezahlt und mit ihnen ab und zu mal Schulaufgaben gemacht. Obwohl es nicht meine Kinder waren. Das eine oder andere Mal hätte ich dann schon gerne das Wort » danke« gehört. Das kam aber nie.
Ach, es hilft eh alles nichts, es ist ja vorbei, und man kann es nicht zurückdrehen, das Leben, man denkt nur so viel darüber nach. Das ist das Schlimme, dass man in diesen Heimen und Krankenhäusern so viel Zeit hat, über alles nachzudenken. Weil man nichts anderes mehr machen kann. Ich muss da jetzt durch. Wer hilft mir?
Der eine Sohn, der kommt wenigstens zu Besuch. Nachher wird er mir einen Käsekuchen mitbringen, hat er angekündigt. Aber der andere, der trinkt und fordert nur Geld. Dafür kümmert er sich noch nicht einmal um mich. Er will das Geld seiner Mutter, die schon vor längerer Zeit verstorben ist. Ich zahl ihm das aber nicht, er versäuft es ja eh nur.
Wer hilft mir? Ich möchte Sauerstoff, ich kann nicht atmen. In meine Wohnung kann ich auch nicht zurück. Wenn der
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