Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dieser Sonntag hat's in sich

Dieser Sonntag hat's in sich

Titel: Dieser Sonntag hat's in sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
Park jenseits der Straße fremd und etwas
bedrohlich aussehen. Für das große, braune viktorianische Haus in Bernal
Heights, in dem die Kanzlei All Souls seit mehr als zwölf Jahren untergebracht
war, war der Nebel von Vorteil: Er verhüllte die Blasen der abblätternden Farbe
und ließ die Fassade makellos erscheinen; die schlechtgeflickten Schindeln und
das eingesunkene Dach trugen eine stattliche Perücke aus grauem Dunst. Für mich
wirkte das Gebäude oft wie eine alte Dame, die ihre letzten Tage im ständigen
Kampf gegen die Würdelosigkeit durch Armut verbringt. Heute schien sie sich mit
zerlumpter Pracht geschmückt zu haben, und die Schlacht war für den Augenblick
gewonnen.
    Als ich durch die Eingangstür kam,
schaute unser Sekretär, Ted Smalley, von seinem fast fertigen New York
Times- Kreuzworträtsel auf. »Etwas spät heute, was?«
    »Etwas.« Ich schaute auf das Rätsel und
runzelte die Stirn. Es machte mich verrückt, daß er das Selbstvertrauen besaß,
es mit Tinte auszufüllen.
    Ted legte die Hand über die Zeitung. Er
haßt es, das Kreuzworträtsel mit jemandem gemeinsam zu lösen, und fragt nur,
wenn er wirklich mit seinem Latein am Ende ist.
    Ich schob seine Hand zur Seite. »Was
ist das?«
    »Was ist was?«
    »Das. Nummer zweiundsiebzig quer. Ein
Wort mit acht Buchstaben, es beginnt mit einem k und hört mit einem s auf. Der
vierte Buchstabe ist ein f.« Es war eines von den wenigen, die er noch
ausfüllen mußte.
    Er funkelte mich an und seufzte dann.
»Schwach.«
    »Schwach. Das wäre einfach — so fühle
ich mich heute. K... f... s... kraftlos.«
    »Kraftlos.« Er hakte die Nummer mit der
Spitze seines Füllers ab.
    Während ich die Treppen hinaufging,
begann er das Wort einzutragen. »Gern geschehen«, sagte ich.
    »Du weißt, daß ich es hasse, wenn du
dich da einmischst:«
    »Deshalb tue ich es ja.« Auf halber
Höhe blieb ich stehen. »He, Ted, würdest du Rae anrufen und sie bitten, in mein
Büro zu kommen.«
    »Sie ist noch nicht da.«
    Unpünktlichkeit war einer der wenigen
Fehler meiner neuen Assistentin, Rae Kelleher, aber ein besonders nervtötender.
Es ärgerte mich besonders, da ich den Verdacht hatte, daß ihre Unpünktlichkeit
hauptsächlich auf die Ansprüche ihres Ehemanns Doug, eines ewigen Studenten,
zurückzuführen war.
    Ted war offensichtlich der gleichen
Ansicht. »Vielleicht mußte sie für Dougie einen Aufsatz tippen oder ihn für
eine Prüfung abhören.«
    Ich zog eine Grimasse. »Wenn sie kommt,
sag ihr doch bitte, daß ich mit ihr sprechen muß.« Dann ging ich hoch in mein
neues Büro.
    Nach dem Eintreten blickte ich um mich —
wie fast jeden Tag in den letzten vier Monaten — und bewunderte mein neues
Interieur. Das Zimmer — die Hälfte eines ursprünglich herrschaftlichen
Schlafzimmers — befand sich im vorderen Teil des Hauses, und es hatte einen
Erker mit Aussicht. Es war keine von jenen spektakulären Aussichten, für
die San Francisco berühmt ist; ich konnte weder die Bucht noch die
Golden-Gate-Brücke oder einen der Wolkenkratzer in der Stadtmitte sehen. Was
ich sah, war das Outer-Mission-Viertel: Die Dächer waren so geflickt und
abgesunken wie das der Kanzlei; die Häuser waren genauso schäbig; die Straßen
waren gleichförmig und baumlos; die Gossen waren mit Abfall verstopft; die
gebeugte Körperhaltung der ärmlich gekleideten Leute drückte Abwehr aus. Aber
es war immerhin eine Aussicht, und das Büro war wesentlich größer als
mein ehemaliger umgebauter Schrank unter der Treppe. Außerdem paßte das, was
ich von meinem Schreibtisch, der im Erker stand, sah, zu meiner Arbeit; dies
war mein Revier, und einer von diesen Leuten könnte mein Klient sein.
    Ich hatte diese prächtigen vier Wände
beziehen dürfen, weil mein Chef Hank Zahn im letzten Frühjahr eine der Anwältinnen,
Anne-Marie Altman, geheiratet hatte und zu ihr in ihre Wohnung in Noe Valley
gezogen war. Hank, der die Kanzlei kurz nach Abschluß seines Jurastudiums
gegründet hatte, hatte all die Jahre in diesem Zimmer gewohnt. Ich hatte
anscheinend meiner Trauer darüber, daß er so weit wegzog und nicht mehr zu
jeder Tages- und Nachtzeit für Ratschläge und Gespräche zur Verfügung stand, so
stark Ausdruck verliehen, daß er mir den Raum als Büro vermachte und dabei
einige andere enttäuschte, die schon lange danach gelechzt hatten. Es war zwar
kein Ersatz für die langen Abende, an denen wir bei einem Gläschen über Gott
und die Welt sprachen, und auch nicht dafür, daß

Weitere Kostenlose Bücher