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Dieser Sonntag hat's in sich

Dieser Sonntag hat's in sich

Titel: Dieser Sonntag hat's in sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Anne-Marie, meine beste
Freundin in der Kanzlei, jetzt verheiratet war und nach Hause verschwand, um
den Abend bei Kerzenlicht mit ihrem Mann zu verbringen. Aber nachdem ich es mit
einem neuen Parsons-Schreibtisch und einem alten Orientteppich aus dem Speicher
ausstaffiert und ein paar von meinen Lieblingsfotografien aufgehängt hatte...
fing ich an, mich als einigermaßen wichtige Karrierefrau zu betrachten und
nicht mehr als unterbezahlter Lakai, dessen Arbeit eh niemand zu schätzen
wußte.
    Meine Metamorphose zu einer bedeutenden
Mitarbeiterin wurde vor zwei Monaten vollendet, als Hank und die anderen
Teilhaber zu der Einsicht gelangten, daß ich zu viele ernstzunehmende Aufgaben
hatte, als daß ich mich weiterhin mit zwar wichtigen, aber zeitraubenden und im
Grunde anspruchslosen Arbeiten, wie der Überprüfung von Dokumenten im Rathaus
und der routinemäßigen Befragung möglicher Zeugen, aufhalten konnte. Such dir
eine Assistentin, sagten sie.
    Ich rief andere Detekteien und Bekannte
bei Sach- und Personenschutzfirmen an, und jemand empfahl mir schließlich Rae
Kelleher. Rae war fünfundzwanzig und hatte ein Psychologiediplom von meiner
alten Alma mater in Berkeley. Sie hatte einen Ehemann zu ernähren, der an
seiner Doktorarbeit zimmerte. Sie hatte einen Job als »Wachfrau«, genau wie ich
nach meinem völlig nutzlosen Diplom. Wir hatten uns getroffen, und ihre
Begeisterung und ihr freundliches Wesen, ihre beachtliche Intelligenz und ihre
Bereitschaft, schlechtbezahlte Sträflingsarbeit zu leisten, um das Handwerk zu
lernen und schließlich eine Lizenz als Detektivin zu erhalten, hatten mir
gefallen. In den zwei Monaten, seit sie für mich arbeitete, hatte sie sich als
umgänglich erwiesen, mit einer guten Auffassungsgabe, und hatte nie geklagt. Das
einzige Problem war ihr Mann und die Ansprüche, die er an ihre Zeit stellte — Zeit,
die sie auf ihre Arbeit verwenden sollte.
    Ich verbannte die Gedanken an Rae aus
meinem Gehirn, setzte mich an den Schreibtisch und begann, meine Aufzeichnungen
über Frank Wilkonson durchzusehen. Meine Augen brannten, weil ich nicht genug
geschlafen hatte — es waren nur zwei Stunden gewesen — , und ich hatte leichte
Kopfschmerzen.
    Ich griff nach meiner Tasche, um ein
Aspirin zu suchen; auf dem Grund meiner Tasche fand ich nur noch ein Tylenol in
einer verbeulten Dose. Ich schluckte die Tablette ohne Flüssigkeit und sah
weiter meine Aufzeichnungen durch. Als ich fertig war, hatte ich die
wesentlichen Bestandteile meines Berichts, aber keine Antworten und auch keine
rechte Vorstellung, wie ich Goldrings mangelnde Ehrlichkeit in bezug auf
Wilkonson angehen sollte. Schließlich beschloß ich, nur das
zusammenzuschreiben, was ich hatte, und rief dann sein Büro an.
    Die Frau, die ans Telefon kam, sagte,
daß Goldring nicht im Haus sei, und fragte mich, ob ich eine Nachricht
hinterlassen wolle.
    Ich hinterließ meinen Namen und
erklärte, daß ich am späten Nachmittag, etwa zur gleichen Zeit wie am letzten
Freitag vorbeikommen würde. Falls Mr. Goldring diese Zeit ungelegen sei, solle
er mich anrufen.
    Ich legte auf und sah mir die Akten auf
meinem Schreibtisch an. Es waren nur vier, von denen ich zwei an Rae
weitergeben wollte — vorausgesetzt, daß sie je zur Arbeit erschien. Um die
anderen beiden mußte ich mich selbst kümmern, da bei diesen Fällen
untergetauchte Zeugen aufzuspüren waren und Rae damit noch keine Erfahrung
hatte. Unwillig holte ich mir das Telefon her und versuchte einige Leute
anzurufen, aber ich erreichte niemanden. Es war fast Mittag, und ich ging nach
unten.
    Ted war nicht an seinem Schreibtisch;
er war wahrscheinlich beim Mittagessen. Ich steckte den Kopf in mein ehemaliges
Büro unter der Treppe — das Rae so aufgepeppt hatte, wie ich es nie für möglich
gehalten hätte — , aber es war leer. Dann ging ich den Flur hinunter zu Hanks
Büro; er war zwar da, hing aber am Telefon. Als er aufsah, stellte ich fest,
daß er unnatürlich blaß war, unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Ringe
ab, die auch seine dicke Hornbrille nicht verdecken konnte. Brütete er etwas
aus? fragte ich mich. Oder war dies ein Symptom für etwas Schlimmeres als eine
ausbrechende Erkältung oder Grippe? Wenn ich so darüber nachdachte, fiel mir
auf, daß weder er noch Anne-Marie in der letzten Zeit besonders gut ausgesehen
hatten.
    Meine Lippen formten das Wort »Essen«
in seine Richtung. Er schüttelte den Kopf und deutete auf einen Haufen Ordner,
die vor ihm lagen.

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