Dieser Sonntag hat's in sich
Ich zuckte die Achseln und ging zu dem Stapel Zeitschriften,
die Hank — der Zeitungen und andere Magazine hortet — in einer Ecke seines
Zimmers aufbewahrt. Ich schaute auf das Datum der obersten Zeitung, stellte
fest, daß sie von gestern war, und zog den rosa Teil heraus. Als ich sie
fragend in die Höhe hielt, nickte Hank sein Einverständnis, ich konnte sie
haben. Dann sagte er am Telefon: »Hören Sie, dieser Punkt ist nicht
verhandlungsfähig, es sei denn, Sie haben etwas verdammt Gutes anzubieten.«
Ich nahm den Veranstaltungskalender mit
in die große Küche im hinteren Teil des Hauses. Ein paar Rechtsanwaltskollegen
saßen an dem runden Eichentisch am Fenster beim Mittagessen. Ich grüßte und
warf dann einen Blick in den Kühlschrank. Er war brechend voll mit lauter
gesunden Sachen — Spinat, Karotten, Tofu, Hüttenkäse, Joghurt. Seufzend dachte
ich an die guten alten Zeiten, als Hank noch hier lebte und immer ein Topf
übriggebliebener Spaghettis oder Chili darauf wartete, aufgewärmt zu werden.
Schließlich begnügte ich mich mit einer Tasse Kaffee und trug sie in unser
kombiniertes Wohn- und Wartezimmer hinüber.
Beim Hinausgehen hörte ich an der Tür,
wie einer der Anwälte sagte: »McCone hat mal wieder ihren asozialen Tag.«
Ich ärgerte mich über diese unfaire
Bemerkung. Ich mag die warmherzige, freundliche Atmosphäre bei All Souls und
fühle mich wohl in der Gesellschaft der anderen. Aber manchmal wird mir diese
erzwungene Nähe einfach zuviel. Die Gründung der Kanzlei geht zurück auf eine
politische Bewegung in den siebziger Jahren zugunsten juristischer
Hilfeleistung für die Armen; doch von Armut scheinen eher die Angestellten und
Teilhaber betroffen zu sein als die Mandanten, die ihre Zahlungen ihrem
Einkommen entsprechend entrichten müssen. Einige Kollegen leben auf Grund ihrer
Einkommenslage mietfrei in Zimmern im ersten Stock. Die meisten Mitarbeiter
nehmen ihre Mahlzeiten hier ein, und auch diejenigen, die woanders wohnen,
scheinen mehr Zeit in der Kanzlei zu verbringen als zu Hause. Niemand beklagt
sich über den Mangel an Privatsphäre. Im Gegenteil — alle scheinen es zu
genießen, ausgiebig über Mandanten und Fälle diskutieren zu können, Details aus
ihrem Privatleben auszubreiten und ständig gemeinsame Aktivitäten zu planen.
Für einen Menschen wie mich wäre solch ein Leben unerträglich.
Aber die meisten Kollegen bei All Souls
sind zugleich auch meine Freunde. Ich lasse mich meistens überreden, zu ihren
Parties zu gehen, und wenn ich Gesellschaft brauche, komme ich hierher. Auch
wenn die Bemerkung nicht böse gemeint war, traf sie mich doch — um so mehr, so
vermutete ich, weil es die gleiche Art von Kritik war, mit der mich Don gegen
Ende unserer Beziehung bombardiert hatte.
Ich fragte mich auch, ob die Leute mich
wirklich so sahen — kratzbürstig, unabhängig, ein Mensch, der niemanden
brauchte. Wenn ja, dann hatten sie unrecht; die Leere, die ich seit meiner
Trennung von Don spürte, bewies es. Ich dachte an Frank Wilkonson, und wie mich
sein depressiver, schlurfender Gang an den Kristofferson-Song über einsame
Sonntage erinnerte. Dann dachte ich daran, wie ich kürzlich an einem Sonntag
niedergeschlagen den nebligen Strand entlanggewandert war. Nein, ich war nicht
die Frau, für die mich meine Freunde und Kollegen hielten, die sich selbst
genügte. Ich brauchte jemanden — aber es mußte jemand sein, bei dem ich ich
selbst sein konnte, der mir Luft zum Atmen ließ und mich nicht umkrempeln
wollte. Und solch ein Mensch war nicht leicht zu finden.
Ich schüttelte die düsteren Gedanken ab
und ließ mich auf der kaputten Couch im Wohn-Wartezimmer nieder. Der große Raum
ist meist voll von Mandanten, aber nun, während der Mittagszeit, war er
verlassen. Spielsachen aus der Truhe neben dem Kamin — für die Kinder der
Mandanten, die ihre Sprößlinge zu ihren Anwaltsterminen mitbringen müssen — waren
über den abgetretenen Orientteppich verstreut. Angeschlagene Keramiktassen und
schmutzige Aschenbecher standen auf dem Kaffeetisch; ich mußte mir einen Platz
freiräumen, um meine Tasse abzustellen. Dann schlug ich den
Veranstaltungskalender auf und blätterte ihn durch.
Die Kategorien »Nachtleben« und »Kino«
ließ ich aus und konzentrierte mich auf die Überschrift »Ausstellungen«. Da war
es — die Pflanzenauktion in der Blumenhalle. Ich ging zu Teds Schreibtisch
hinüber und schlug die Gelben Seiten in seinem Branchentelefonbuch auf. Unter
dem
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