Dieses Buch gehört meiner Mutter
eingesperrt.«
»Na und. Geschieht ihm schon recht.«
Auf den Blöchl, seinen Freund,
den Mühlviertler Bauernpolitiker,
ließ mein Vater nichts kommen.
Und schon gar nicht vom Wagner,
der ein mords Nazi war.
»Sag’s noch einmal. Trau dich.«
»Geschieht dem Blöchl ganz recht.«
Da hatte der Wagner schon eine picken.
Dann mein Vater. Dann der Wagner die zweite.
Dann wälzten sie sich auf dem Boden,
zwei Schülerbuben mit grauen Bärten.
Dann hatte ihn mein Vater im Schwitzkasten.
»Sag’s schon«, keuchte er, »spuck’s aus!«
Aber dem Wagner war das Sagen vergangen.
Da ließ er ihn los, stand mühsam auf
und klopfte sich den Staub von der Hose.
Sein Freund, der Blöchl, überlebte die Haft.
Er zeigte sich nach dem Krieg erkenntlich:
mit elektrischem Licht fürs ganze Dorf.
Meinem Vater wäre es lieber gewesen,
wenn beim Wagner weiterhin
die Petroleumfunzel gebrannt hätte.
[81] Der Briefträger war kaisertreu,
redselig und russenfreundlich.
Er war von weitem zu erkennen
an seinem stolpernden Gang
und weil er den Stock nachschleifen ließ.
Bei uns stärkte er sich mit einer Jause
und zwei Stamperln Schnaps.
Den Rucksack behielt er um,
die Tasche stellte er auf die Ofenbank,
den Stock nahm er zwischen die Knie.
»Gleich kommt der Otto, der Otto kommt,
der Otto, ihr werdet es schon sehen,
wie dann der Hitler rennen wird!«
»Sei still, Gusenbauer«, sagte mein Vater.
»Freilich wird’s einmal anders, nur dein Otto
wird nie kommen, den kannst du vergessen.
Aber rot und schwarz wird es wieder geben,
und jetzt friß und trink aus und halt die Pappen,
denn es könnt dich wer Falscher hören.«
Er war nicht still, ihn hörte wer Falscher.
Er kam ins Zuchthaus, zwei Jahre vor Schluß,
und mir scheint, das hat der Jirku betrieben,
der bis zum Einmarsch ein Schwarzer war
und dann Ortsgruppenleiter der Nazipartei.
Jirku wurde nach dem Krieg eingesperrt
und kehrte geläutert zurück: als Demokrat.
Kaum war er, nach der ersten Nacht daheim,
vor die Tür getreten, sah er im Frühnebel
[82] eine Gestalt auf sich zukommen, stolpernd,
mit Stock und heiserer Stimme, die sagte:
»Gleich kommt der Otto, der Otto kommt, der Otto.«
[83] Beim Wirt in Graben
soll der Briefträger
mit einem Soldaten auf Heimaturlaub
ins Streiten gekommen sein.
Ein Wort gab das nächste,
und das letzte hatte die Gestapo.
»Ihr seid es, die in Rußland
Weiber und Kinder verstümmeln.
Die Russen sind nicht schlecht,
und wenn sie so etwas machen,
dann haben sie es von euch gelernt.«
Gusenbauer hatte recht,
nur wußte ich es nicht,
und hätte ich es gewußt,
hätte ich es nicht geglaubt.
Und hätte ich es geglaubt,
hätte ich es nicht zugegeben,
und hätte ich es zugegeben,
hätte es mir nicht geholfen:
als dann die Unschlechten anrollten.
Das Scheppern der eisernen Reifen
an ihren Karren, zuerst in der Ferne,
dann nahe und immer näher,
hören noch meine tauben Ohren.
[84] Als Ersatz für die Söhne an der Front,
für die Dirnen beim Arbeitsdienst
wurden uns Kriegsgefangene zugewiesen.
Weil wir sie nicht schlecht behandelten,
glaubten wir, sie wären freiwillig da.
Die Männer mußten beim Piber schlafen,
im Häusl, alle zusammen unter Bewachung,
aber beim Essen saßen sie mit uns am Tisch.
Für sich allein, wie es Vorschrift war,
das hätte mein Vater nicht ertragen.
Der erste war der Moritz, ein Belgier,
Inhaber einer Margarinefabrik.
Er war schon älter, kam schnell ins Schwitzen
und aß am liebsten wurmstichiges Obst.
Die Pfarrer von Leonhard und Weitersfelden
kamen im Einspänner angefahren,
um ihr Französisch aufzufrischen.
Im Winter wußte mein Vater oft nicht,
was er ihm zur Arbeit schaffen sollte.
Beim Roßzeugschmieren schlief er gern ein.
Der zweite hieß Stefan und stammte aus Nantes.
Er hatte ein kleines Kind, ein Foto dabei,
das er manchmal hervorholte,
redete aber selten von seiner Frau.
Die Arbeit ging ihm flott von der Hand.
Mein Vater brachte ihm das Besenbinden bei.
»Wennst heut noch ein Dutzend schaffst,
kriegst von mir ein Faßl Bier«, sagte er.
Am Abend ging der Stefan mit schiefem Kopf,
auf der Schulter das Faß, hinüber ins Häusl.
[85] Der Aufseher dort, ein alter Steinmetz,
wurde mit fettem Speck bestochen.
Die dritte war die Valja, der man nichts schaffen mußte.
Sie war schwere Arbeit gewohnt. Sie lachte selten.
Wir trauten ihr nicht über den Weg: sie hatte,
als Russin, hinreichend Grund, uns böse
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