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Diesseits Des Mondes

Diesseits Des Mondes

Titel: Diesseits Des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Asta Scheib
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Birke den ihr zustehenden Rahmen zu geben. Sie begann, das Mädchen bei Fahrten nach Köln mit ihren Pelzmänteln auszustaffieren, die junge Haut mit ihrem Schmuck zu behängen. Birke war schon mit siebzehn hoch aufgeschossen, so groß fast wie Michael, der inzwischen 1,80   m maß. Birkes Haar war sehr dunkel, so dass sie von älteren Leuten, die Oberbergisch Platt sprachen, als »Schwatte« bezeichnet wurde. Schwatte, Schwatte, Schwatte, riefen auch die Zuschauer, wenn Birke beim Leichtathletikwettkampf der Schulen im Staffellauf die letzte Runde gegen die blonde hünenhafte Christa lief. Den Staffellauf gewann Birke meist für die Realschule, doch in der Gesamtpunktzahl lag sie immer hinter Christa, die beim Weitsprung unangreifbar blieb, obwohl Birke technisch genauso gut sprang wie sie. Doch wenn umdie Sprunggrube herum die anderen standen, wenn sie in Birkes Gesicht starrten, konnte sie sich nicht mehr auf den Sprung konzentrieren, sie fand einfach nicht die Kraft, die anderen zu ignorieren, so wie Christa das offensichtlich konnte. Birke sah zu, wenn Christa sprang, wie sie Anlauf nahm, das Gesicht verzerrt von äußerster Konzentration und Anspannung. Christas Mädchengesicht war entstellt, eine Fratze der Leistung. Birke war schon für sich allein gesprungen, nach dem Training, unbemerkt, sie hatte die Weite gemessen, Birke sprang so weit wie Christa, aber nur, wenn niemand sie sah.
     
    Als Michael Birke zum ersten Mal im Bisampelz seiner Mutter sah, um den Hals ein Collier aus Granat, spürte er im Mund einen bitteren Geschmack. Michael wollte schimpfen, sich dem Unfug nicht fügen. Er erschrak vor einer ihm fremden Birke, die aussah, als ginge sie bei Jacques Fath über den Laufsteg. Seine Mutter wollte Birke im Ort vorführen. Ein Kind mit seiner neuen Puppe, dachte Michael. Er musste sich Zeit lassen, über Birkes leuchtende Augen nachzudenken. Da kam der Elefant von einer Reise zurück. Michaels Mutter lief ihm aufgeregt wie ein Huhn fast ins Auto. Der Elefant stieg aus, ließ die Tür des Wagens offen, ging an Michael und seiner Mutter vorbei zur Treppe, wo Birke stand. Er blieb kurz vor ihr stehen, wortlos. Michael sah, dass das Leuchten in Birkes Augen beim Anblick des Elefanten nicht erlosch. Michael sah seine Mutter, sah Birke und sich selbst wie auf einem Standfoto im novemberlichen Licht des Nachmittags. So, als tanze er auf einem Seil, voller Angst Schritt vor Schritt setzend, bewegte sich Michael auf Birke zu.
     
    Als Michael sein Mädchen zum ersten Mal auf dem Schoß des Elefanten sitzen sah, hatte er diese Situation schon hundertfach vorausgeahnt. Daher erschreckte es ihn nicht. Aber für lange (wie lange?) Zeit gehörten ihm seine Beine nicht, sie fielen aus, taten keinen Schritt mehr, waren wie gelähmt. Michael hatte geübt, durch die Zähne zu pfeifen, aber seine Lippen schlossen sich nicht. Michael sah Birkes zufriedenes Kindergesicht, er sah ihren Lippenstift auf dem Doppelkinn des Elefanten. Michael sah, dass diese intime Situation – so nannte man das doch, oder?   –, dass diese intime Situation allein die Intimität des Elefanten bedeutete. Michael spürte zum ersten Mal, dass der alt war. Er sah es, weil neben Birkes strahlender Glätte der Elefant sich umso faltiger und fauliger ausnahm. Jetzt stand sein Mund, sein Elefantenmaul, offen, seine kleinen umfalteten Augen schauten tückisch. Er war ein Elefant, der Sklaverei entkommen, jetzt wollte er sich suhlen im Schlamm seiner Freiheit. Welcher Freiheit? Hatte der Elefant nicht das gleiche Recht wie Michael, in Birke verliebt zu sein? Hatte er nicht die Freiheit, sie (und nur sie, alle anderen gingen ihm angeblich auf die Nerven) mitzunehmen auf die Jagd, wo sie stundenlang auf dem Hochsitz hockten? Hatte der Elefant deshalb nicht das Recht, weil er siebenundfünfzig Jahre alt und mit Michaels Mutter verheiratet war? Und Birke, hatte sie nicht die Freiheit, zu finden, dass der Elefant gut roch? Das war nämlich ihr einziger Kommentar, als Michael sie rauer, als er beabsichtigt hatte, vom Schoß des Elefanten wegzog.
    »Er riecht gut, er ist wie ein Kuscheltier, Steiff Knopf im Ohr.« So versuchte Birke vor Michael ihreZuneigung zum Elefanten auf eine seiner Empfindlichkeit gerecht werdende Ebene herunterzuspielen. Dass es Zuneigung war, daraus machte sie keinen Hehl. Birke, zu Kriegsbeginn geboren, hatte an ihren Vater nur eine vage, von Fotos gestützte Erinnerung, die ihre Mutter offenbar nicht auffrischen wollte. Sie

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