Diesseits Des Mondes
den Kindern Roller zu fahren. Aber der Soldat hatte seine Finger da, wo es verboten war, und Birke wollte nicht, dass er die Finger da hatte, doch der Soldat wollte seine Finger nicht wegnehmen, und alles wurde dunkel und böse, und der Soldat wurde böse. Doch als Birke weinte, ließ er sie gehen, undBirke rannte und sie wollte den Kaffee nicht und nichts, nur an die Sonne wollte sie.
Als Birke mit Michael und dem Elefanten heimfuhr, saßen sie schweigend im Wagen. Birke nicht wie sonst vorne bei dem Elefanten, vergnügt mit ihm redend. Sie hatte sich in den Fond zu Michael gesetzt und sie wusste zum ersten Mal, dass sie ihn lieb hatte. Doch den Elefanten hatte sie auch lieb, er hatte sie noch nie angerührt. Wenn sie, Birke, ihn küsste, berührte sie niemals seinen Mund. Es war mehr so, dass sie sich hineingrub in seine Weichheit, seine Wärme. Der Elefant, der sich sonst schlecht benahm, die Leute anbrüllte, seine Frau ignorierte und seinen Stiefsohn demütigte, dieser Elefant war, wenn er mit Birke allein war, leise und weich. Er breitete vor ihren Augen sein Leben aus, seine Tricks, seine Niederlagen, seine Siege. Einmal hatten sie ihn ins Gefängnis gesteckt, weil seine Sekretärin bei einer Abtreibung gestorben war. Das Kind war vom Elefanten. Seine erste Frau war krankhaft eifersüchtig gewesen, so sah es jedenfalls der Elefant. Sie habe ihm das Leben vergällt. Er sprach von Gaunereien, von Betrügern, die ihn, den Elefanten, ruinieren wollten. Er erheischte ihr Mitleid durch seine gut getarnte Larmoyanz. Er malte Birke Zukunftsbilder, in denen sie der Mittelpunkt war. Alles wolle er verkaufen, seine Geschäfte, Häuser, alles. Und dann mit Birke ins Flugzeug steigen, fliegen, weit fliegen, Venezuela, Uruguay.
Birke sah vor sich den Kopf des Elefanten, der sich plastisch von der Windschutzscheibe abhob. Der kugelige Kopf mit den eichenholzfarbenen Haaren, dünn waren sie, kurz geschnitten. Im weichen Licht des frühen Abends sah der Elefant wie eine Echse aus,wie eine mächtige Echse lenkte er den Wagen mit der linken Hand, die rechte lag auf dem Schaltknüppel.
Hass lag in dieser Hand, Betrug, Lüge, Verleumdung, Grausamkeit hatte sie gelenkt. Eine seltsam weiche, große Hand, die Hand eines ehemals bekannten Wasserballspielers, eine kämpferische, Angst machende Hand. Doch Birke fürchtete sie nicht, für sie hatte diese Hand nur Liebkosungen bereit. Liebkosungen, die Birke genauso gern mochte wie die Michaels. Führte sie ein Doppelleben, ein Liebesdoppelleben? Birke fragte es sich zum ersten Mal, jetzt, da sie mit Michael und dem Elefanten im Wagen saß und das Schweigen zwischen ihnen drückend war. Birke fühlte sich verantwortlich für dieses Schweigen. Hatte sie es bislang vor sich selbst verheimlicht, dass der Elefant in ihren Augen ein Unglücklicher war? Wollte sie damit vor sich selbst rechtfertigen, dass sie so gern mit ihm Vater-Tochter spielte? In dem lastenden Schweigen fühlte Birke sich als Angeklagte.
Ich will sie beide nicht mehr sehen, dachte Michael. Den Elefanten nicht und Birke auch nicht. Sie ist auf seiner Seite. Dafür müsste ich sie hassen, so wie ich ihn hasse. Was tut sie mit diesem Kerl? Michael sah den dicken Wulst des Nackens über dem Anzugkragen des Elefanten, er sah die Spitzen der Haare verschwitzt auf dem Wulst liegen. Dass Birke den Elefanten nicht widerlich fand. Michael begriff es nicht. Womit wickelte der Elefant sie ein? Sah sie nicht, dass der blödsinnig verliebt war in sie? War Birke wirklich so kindlich, war auch seine Mutter blind? Sie schien nicht zu sehen, dass der Elefant mit immer helleren Trompetenstößen Birke umwarb, dass er überhaupt nur noch den Mund aufmachte, wenn Birke da war.Nur Birke konnte ihn noch genießbar machen. Es war, als lehne sich seine Mutter in dieser Heiterkeit des Elefanten beruhigt zurück, sie war froh, ihn bei Laune zu halten. Sah sie nicht, um welchen Preis?
Michael konnte mit seiner Mutter nicht darüber sprechen. Es wäre ja dann so gewesen, als seien sie Schicksalsgefährten. Das aber wollte Michael nicht sein. Lieber brachte er den Elefanten um. Michael hätte mit einem Messer in den Wulst des Nackens hineinschneiden mögen. Ruhig und tief, immer wieder quer durch bis nach vorn an die Kehle.
Als der Wagen in den Hof einbog, hatte Michael den Elefanten schon dreimal umgebracht. Birke dagegen erteilte er Absolution für Sünden, die sie nicht begangen hatte. Das wusste Michael. Er hätte es aber allen beweisen
Weitere Kostenlose Bücher