Diesseits Des Mondes
nicht wahrgenommen. Es war ein Tuscheln um ihn, den Sohn vom reichen F. Einen VW mit Weißwandreifen sollte der haben, einen großen Hund, reiten sollte der können, Ski laufen und Tennis spielen. Das alles machte auf Birke keinen Eindruck. Sie hatte Klaus-Rainer. Birkes Mutmaßungen, die Liebe betreffend, hörten immer noch beim Küssen auf. Dass man vom Küssen nicht schwanger wurde, wusste sie bald. Weiter jedoch wusste sie nichts. Die Blicke auf ihren Busen, die Pfiffe, das Tuscheln der Jungen, die Mahnungen des Kaplans, die niedergeschlagenen Augen ihrer Mutter, Frauenleben, Frauensachen, die Bindenpackungen – all das mischte sich in ihr Leben, rätselhaft, widerwärtig, missverständlich. Birke schien Signale auszusenden, mit denen sie nicht einverstanden war. Umso freudiger wurden sie aufgenommen. Küsse hier und da, komisches Brennen im Bauch, Hände an den Schenkeln sofort gestoppt. Und jetzt Klaus-Rainer, der erste Junge für Birke, von dem sie sicher wusste, dass er es getrieben hatte. Zwei Jahre war er mit Reni gegangen. Fest. Reni hatte überall erzählt, dass sie in Hotels übernachteten mit Ringen am Ringfinger. Birke schoss das Blut in den Kopf, wenn sie daran dachte. Sie hatte Reni beneidet, doch sie hätte um nichts mit ihr tauschen mögen. Die Eltern von Reni und Klaus-Rainer taten so, als merkten sie nicht, dass die beiden miteinander schliefen. Reni erzählte, dass der Klaus-Rainer sich auskenne, er wisse, wie man aufpasst. Und es war ja auch bisher nichts passiert. Klaus-Rainer, dieser Erfahrene, dieser Wissende, wollte nun Birke. In ihrem Kopf tanzten die Gedanken, als Klaus-Rainer zum ersten Mal seinen Wagen vor ihremHaus abstellte und durch den Vorgarten schlenderte, in dem Birke die Sträucher goss. Hast du Lust, mit mir morgen nach Köln zu fahren, zum Tanzbrunnen?
Du gehst doch mit der Reni?
Das war mal.
Tanzbrunnen. Drei Petticoats übereinander, Spitze am Rocksaum, an der Bluse. Darunter war alles Neugierde, Hitze, Ahnung, Angst, süße Angst. Im Tanzbrunnen spielten sie »Das ist die Liebe im Vorübergehen, die uns so oft in Atem hält«, Birke tanzte mit Klaus-Rainer Cha-Cha-Cha, Rock ’n’ Roll. Seine weißen Zähne, die braune Haut, schmale kräftige Hände, die alles konnten, alles wussten. Hände, die lieben und gleichzeitig verhüten konnten. Der Petticoat flog, Klaus-Rainer konnte tanzen, was konnte der nicht? Seine Augen machten Birke die Ohren heiß. Rock in the body, die Mutter belogen, die Freundin hielt dicht. Freiheit war ein Wort, die unbefleckte Empfängnis die Topografie in Birkes Blickfeld. Flüstern, Tuscheln. Wer mit Jungen schlief, war sofort unten durch. Engelmacherin? Nicht für Birke. Ihre Träume lüftete sie eilig zum Fenster hinaus. Die Jungen streichelten den Mädchen die Hölle heiß, damit sie mit ihnen schliefen. Dann machten sie sich auf die Suche nach einer Jungfrau, einer Frau zum Heiraten. Es gab Mädchen für den Spaß und Mädchen für die Ehe. Birke war Jungfrau aus Kalkül. Oder weshalb?
Im Tanzbrunnen gingen die Lichter an, Klaus-Rainer tanzte nun eng mit Birke, sein Mund an ihrem Hals. Doch für Birke war es Zeit, die Freiheit wieder mit der Keuschheit zu tauschen. In Klaus-Rainers Wagen presste sich ein harter Körper gegen Birke,seine Küsse endeten tief in ihrer Kehle. Birke flog auf glühendem Pferd, doch sie verlor keinen Moment die Umrisse des Wagens aus den Augen. Mochte Klaus-Rainer Feuer anzünden, sie, Birke, wollte unversehrt zurück in die Helle ihres Kinderzimmers. Ich weiß, dass du noch Jungfrau bist. Klaus-Rainer sagte es zufrieden. Alle wissen das.
Zwei Jahre lang hatte Klaus-Rainer ein stets williges Mädchen gehabt, und nun langweilte es ihn. Andere willige Mädchen wollte er nicht. Sein Männertraum war ein intaktes Hymen. Wieder und wieder streichelte er Birke. Ihm war, als rieche sie nach Grießbrei und Mullwindeln.
Auf dem Schützenfest führte er sie vor. Jeder wusste ja, dass Birke noch mit keinem Jungen gegangen war. Scheele Blicke von Reni und von ihren Eltern. Du machst dich besser, als du bist, sagte Reni im Vorübertanzen zu Birke.
In der Nacht wurde Klaus-Rainer von vier Jungen aus Birkes Nachbarschaft verprügelt. Klaus-Rainer war aus Eckenhagen, und wenn ein Auswärtiger sich an ein begehrtes Mädchen ranmachte, hatte er Ablöse in Form von Prügel und Bier zu bezahlen. Klaus-Rainer, der sich im Besitz von Birke anerkannt sah, klopfte sich glücklich den Dreck aus dem Anzug, und alle fünf betranken
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