Diesseits vom Paradies
Princetonianer bis dahin geschrieben hat. Er enthält Gedichte, Skizzen, Kurzgeschichten, einen ganzen Einakter und Bruchstücke eines früheren Versuchs zu einem Roman. Gerade in seiner heterogenen Form ist Diesseits vom Paradies jedoch das faszinierende, bis heute lebendig gebliebene Zeugnis einer Generation im Aufbruch. Und es ist ein Buch, dem seine Schwächen im Grunde nichts anhaben können.
Zum einen liegt das an seinen Themen: Es handelt von der Kindheit eines sensiblen Jungen, von den Freuden und Leiden seiner Collegezeit, von sehnsüchtiger und verzweifelter Liebe, vom Streben nach Erfolg in einer vom Geld bestimmten Gesellschaft, vom Behaupten und Scheitern jugendlicher Ideale in einer materialistischen, ja zynischen Welt mit ihrem unbedingten Leistungsanspruch, vom Generationenkonflikt, von verstiegenen Illusionen und vom Absturz in den Alkohol. Zum anderen und zur Hauptsache [410] aber liegt Fitzgeralds Faszination im Rhythmus seiner Sprache. Nicht umsonst ist der Autor der Chronist des Jazz Age genannt worden. Obwohl er sich im engeren Sinn gar nicht viel aus Jazz machte und sich in der Musik seiner Zeit kaum auskannte, hat er das Lebensgefühl der Roaring Twenties auf den Punkt gebracht – und zwar schon in dem Moment, als diese erst gerade begannen. Was er unter Jazz verstand, notierte er in dem aufschlussreichen, 1931 entstandenen Text Echoes of the Jazz Age: »Auf seinem Weg zur Respektabilität bedeutete das Wort Jazz zuerst Sex, dann Tanzen, dann Musik: Es wird mit einem Zustand nervöser Erregung in Verbindung gebracht, nicht unähnlich jenem großer Städte hinter der Frontlinie.«
Für diesen Zustand nervöser Erregung hat Fitzgerald eine eigene Sprache gefunden. Zwar ist Diesseits vom Paradies auch in Stil und Ton ein Konglomerat (und als solches, möchte man anfügen, ein ehrgeiziges Buch) – aber Fitzgeralds Duktus, der später zu seinem Markenzeichen wurde, ist auch hier schon präsent: ein warmer, natürlich fließender Ton, der eine ausgeprägte Empfänglichkeit fürs Atmosphärische verrät.
Die Eigenart und Größe eines Schriftstellers zeigt sich ja stets weniger im Material oder in den Themen als im Stil und Ton – in dem, was nur er hervorbringen kann. Bei Fitzgerald ist es eine Sanftheit und Biegsamkeit, die seine Kunst und sein Weltbild bestimmen. Das hat Raymond Chandler genau erkannt, als er Fitzgerald für seinen unvergleichlichen »Charme« rühmte, und auch Gertrude Stein pries den aufstrebenden Kollegen als den einzigen jüngeren Schriftsteller, der für ihre Begriffe natürlich schrieb.
[411] Über den Entstehungsprozess des Romans sind wir durch die jahrzehntelangen Forschungen des Fitzgerald-Biographen Matthew J. Bruccoli sowie durch die akribische Editionsarbeit des Anglisten James L. W. West III umfassend informiert. Die Erkenntnisse dieser beiden Gelehrten werden hier dankbar benutzt und in einiger Ausführlichkeit referiert, weil sich die Eigenart von »Diesseits vom Paradies« nur aus den Umständen seiner Entstehung erklären lässt.
Fitzgerald war kein Anfänger mehr, als er im Herbst 1917 mit der Arbeit an seinem ersten Roman begann. Der Einundzwanzigjährige hatte bereits für Amateurbühnen, Schülerzeitungen und Literaturzeitschriften geschrieben; in der kleinen Form, in Szenen, Gedichten und Songtexten, hatte er Gewandtheit und Witz bewiesen. Er hatte über diesen Freizeitbeschäftigungen sogar sein Studium an der Princeton University weitgehend vernachlässigt – und es so weit getrieben, dass er 1915/16 nur unter Auflagen in seinem Klassenzug bleiben durfte und sich vom Triangle Club, einer Theatergruppe, die sich besonders der Musical-Komödie widmete, fernhalten musste. Er verließ das College im Dezember 1915 und blieb für den Rest des Studienjahrs zum Lernen daheim in St. Paul, Minnesota. Erst im Herbst 1916 kehrte er nach Princeton zurück – doch seine Noten verbesserten sich nicht, und er verfolgte sein Studium nicht mehr entschlossen weiter. Als die USA im April 1917 in den Ersten Weltkrieg eintraten, meldete sich Fitzgerald freiwillig zum Militärdienst. Gleichzeitig plante er sein erstes Buch.
Im Frühjahr 1917 hatte er noch in allem Ernst daran gedacht, ein Versepos zu verfassen, nun aber entschied er sich [412] für eine mit Gedichten und dramatischen Szenen versetzte Prosa-Form. Der Arbeitstitel des Romans lautete The Romantic Egotist – so hieß am Ende dann immerhin noch seine erste Hälfte. Fitzgerald schrieb bis Mitte Oktober die
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