Diesseits vom Paradies
ziemlich witzig als die »Gesammelten Werke von F. Scott Fitzgerald« bezeichnete, doch diese Stimmen kurbelten das Interesse an dem Erstling eher noch an. Interessant aus heutiger Sicht ist, dass der Roman in der frühen Rezeption als ungemein avantgardistisch, revolutionär und formal gewagt charakterisiert wurde.
Erst im Februar 1921, also ein knappes Jahr nach Erscheinen des Buchs, schrieb Frances Newman in der Atlanta Constitution, Fitzgerald habe Mackenzies Sinister Street abgekupfert. Dieser Angriff bewog Fitzgerald zu einem Brief an den Kritiker, in dem er den Einfluss von Sinister Street zwar einräumte, Übernahmen von Details oder die Imitation von Figuren aber in Abrede stellte und festhielt, dass auch Mackenzie seine Quellen gehabt habe, Oscar [426] Wildes Dorian Gray und Robert Hugh Bensons None Other Gods zum Beispiel, und dass sie sich wohl einfach beide an den gleichen Vorbildern orientiert hätten.
Diesseits vom Paradies ist ein weitgehend autobiographischer Roman. Fitzgerald schuf für ihn ein Personal, das sowohl der Wirklichkeit entnommene als auch erfundene Figuren einschließt. Amory Blaine ist ein idealisiertes Selbstporträt Fitzgeralds, Monsignore Darcy ist Fay, Thomas Parke D’Invilliers ist John Peale Bishop, Burne Holiday basiert vage auf Henry Strater. Andere Kommilitonen aus Princeton sind aus mehreren Vorbildern zusammengesetzt. Isabelle ist sehr erkennbar Ginevra King, aber Rosalind ist eine Kombination aus Zelda und der literarischen Figur Beatrice Normandy aus H. G. Wells’ Tono-Bungay. Eleanor Savage war eine Erfindung aufgrund von Fays Erfahrungen, und Beatrice Blaine entspricht der Mutter eines von Fitzgeralds Freunden.
Schulgeschichten haben immer ihren besonderen Reiz – man denke in der deutschen Literaur zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur etwa an Thomas Manns Tonio Kröger, Heinrich Manns Professor Unrat, Robert Musils Verwirrungen des Zöglings Törless oder an Hermann Hesses Unterm Rad. In der amerikanischen Literatur ist das nicht anders. Ein Hauptgrund für die Popularität von Fitzgeralds Erstling waren die Princeton-Kapitel; sie ließen den Text als den ersten realistischen amerikanischen Collegeroman erscheinen. Zudem zeichnete er Princeton zu einer Zeit, als es glanzvoll und exklusiv war. Er faszinierte Leser, die über das amerikanische Oxford und Cambridge Bescheid wissen wollten. Fitzgerald bezeichnete den Roman später als »Romanze [427] und Lektüreliste«, denn er ist unter anderem auch eine Bibliographie der Bücher, die Amory Blaines Intellekt formen. Matthew J. Bruccoli hat gezählt, dass in dem Roman 64 Buchtitel und 98 Schriftsteller erwähnt werden. Amory und seine Freunde sind zwar keine Streber, aber sie sind wild auf Literatur, in der sie Identifikationsmuster suchen. Dieser Zugriff auf die Literatur sollte später für den amerikanischen Collegeroman typisch werden.
Großen Eindruck machte auch die Schilderung amerikanischer Mädchen, die gegen ihre Eltern rebellierten. Dem Roman wurde unzutreffenderweise sogar die Erfindung des flappers zugeschrieben. Zeitungen und Zeitschriften warben 1920 damit, dass Mädchen den Roman als praktisches Handbuch läsen. Doch Fitzgeralds sexuelle Revolution ging nicht weiter als bis zu ein paar Küssen vor der Verlobung. Amory ist so keusch wie die Mädchen, die er liebt. Dennoch wirkte der Roman frisch und sogar sensationell – vielleicht, weil er als erster amerikanischer Roman nach dem Ersten Weltkrieg das Collegeleben und das Leben junger Frauen mit einer Mischung aus Realismus und Romantik behandelte.
In Princeton sah man das Buch naturgemäß zuerst einmal kritisch. Am 27. Mai 1920 schrieb John Grier Hibben, der Präsident Princetons, Fitzgerald einen Brief. Darin heißt es:
»Weil ich alles, was in Ihnen an literarischer Fähigkeit und einer gewissen elementaren Kraft ist, bewundere, nehme ich mir die Freiheit, Ihnen offen zu sagen, dass Ihre Charakterisierung Princetons mich betrübt hat. Ich ertrage den Gedanken nicht, dass unsere jungen Männer vier Jahre lang [428] bloß in einem Country Club leben und ihre Zeit ausschließlich in einem berechnenden und versnobten Geist verbringen. Ihre Beschreibungen der Schönheit und des Charmes von Princeton sind die bewundernswertesten, die ich je gelesen habe, und dennoch vermisse ich in dem Buch etwas, das Sie nach meiner Überzeugung in Ihrer Collegezeit nicht ganz verpasst haben können. Sie dürfen nicht denken, mein Standpunkt sei einfach der eines
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