Diesseits vom Paradies
Kopf.
»Danke, Mr. Ferrenby, aber ich muss weiter.«
Der große Mann streckte ihm die Hand entgegen. Die Tatsache, dass er Jesse gekannt hatte, stellte Amory fest, machte jegliche Missbilligung, die er mit seinen Thesen erregt haben mochte, mehr als wett. Was für Spukgestalten waren doch die Menschen, auf die man einzuwirken versuchte! Selbst der kleine Mann bestand darauf, ihm die Hand zu geben.
»Auf Wiedersehen!«, rief Mr. Ferrenby, als der Wagen um die Ecke in die Auffahrt bog. »Viel Glück für Sie und viel Pech für Ihre Theorien!«
»Ihnen das Gleiche, Sir«, rief Amory lächelnd und winkte.
»Heraus aus dem Feuer,
heraus aus dem kleinen Zimmer«
Acht Stunden von Princeton entfernt setzte sich Amory in Jersey an den Straßenrand und betrachtete die frosterstarrte [404] Landschaft. Natur als ein ziemlich rohes Phänomen, das hauptsächlich aus Blumen bestand, die sich bei näherem Hinsehen als zerfressen erwiesen, und aus Ameisen, die endlos über Grashalme kletterten, war immer desillusionierend; Natur, wie sie sich in Himmel und Wasser und weiten Horizonten offenbarte, war erheblich schöner. Frost und die Verheißung von Winter erregten nun ein prickelndes Gefühl in ihm, ließen ihn an eine wilde Schlacht zwischen St. Regis und Groton denken, vor Urzeiten, vor sieben Jahren – und an einen Herbsttag in Frankreich vor zwölf Monaten, als er, flach am Boden dicht um ihn her seine Mannschaft, im hohen Gras gelegen und darauf gewartet hatte, dem MG -Schützen auf die Schulter zu tippen. Er sah die beiden Bilder zusammen mit der gleichen ursprünglichen Begeisterung vor sich – zwei Spiele, die er gespielt hatte, die sich in ihrer Härte unterschieden, aber auf eine Weise miteinander verbunden waren, die sie von Rosalind oder dem Thema der Labyrinthe unterschied, die letztlich den Ernst des Lebens ausmachten.
Ich bin selbstsüchtig, dachte er.
Und daran wird sich auch nichts ändern, wenn ich »menschliches Leiden« sehe oder »meine Eltern verliere« oder »anderen helfe«.
Diese Selbstsucht ist nicht einfach nur ein Teil von mir. Sie ist der lebendigste Teil.
Nicht indem ich ihr ausweiche, sondern indem ich diese Selbstsucht irgendwie überschreite, kann ich Haltung und Gleichgewicht in mein Leben bringen.
Es gibt keine selbstlose Tugend, die mir nicht zur Verfügung steht. Ich kann Opfer bringen, wohltätig sein, [405] Gutes tun für einen Freund, etwas erdulden für einen Freund, mein Leben geben für einen Freund – und all das, weil ich mich dadurch vielleicht am besten ausdrücken kann; dennoch habe ich kein Quentchen wahrer Menschenliebe.
Die Frage nach dem Bösen hatte sich für Amory zur Frage nach dem Sex verdichtet. Er begann, das Böse mit der heftigen Verehrung des Phallus bei Brooke und dem frühen Wells zu identifizieren. Untrennbar verbunden mit dem Bösen war die Schönheit – Schönheit, die immer noch und immer wieder sein Blut in Wallung brachte: das Sanfte in Eleanors Stimme, ein altes Lied bei Nacht, trunken durchs Leben rauschen wie übereinanderstürzende Wasserkaskaden, halb Rhythmus, halb Dunkelheit. Amory wusste, es hatte ihn jedes Mal, da er verlangend die Hand danach ausgestreckt hatte, mit der grotesken Fratze des Bösen angestarrt. Schönheit in großer Kunst, Schönheit in aller Freude, vor allem die Schönheit der Frauen.
Dennoch hatte Schönheit zu viel mit Zügellosigkeit und Ausschweifung zu tun. Schwächen waren oft schön, Schwächen waren niemals gut. Und in dieser neuen Einsamkeit, die ihn zu noch unbekannter Größe heranreifen lassen sollte, musste Schönheit relativ sein, oder sie würde, da sie ihre eigene Harmonie hatte, nur einen Missklang erzeugen.
In gewisser Weise war dieser allmähliche Verzicht auf die Schönheit der zweite Schritt, nachdem seine Desillusionierung vollendet war. Er spürte, dass er die Chance, ein bestimmter Typ von Künstler zu werden, hinter sich ließ. Es schien so viel wichtiger, eine bestimmte Sorte Mensch zu sein.
Seine Gedanken vollzogen eine plötzliche Wendung, und [406] er stellte fest, dass er an die katholische Kirche dachte. In ihm wurzelte fest die Vorstellung, dass denjenigen, die eine orthodoxe Religion nötig hatten, etwas Entscheidendes fehlte, und Religion hieß für Amory die Kirche Roms. Möglicherweise war sie ein leeres Ritual, doch offenbar war es das einzige anpassungsfähige, traditionelle Bollwerk gegen den Verfall der Sitten. Bis die große Masse zu einem Moralgefühl erzogen werden konnte,
Weitere Kostenlose Bücher