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Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Titel: Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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Delphine zurückkommen.
    Statt der Delphine kam jedoch der (türkische) Kapitalismus nach Russland. Die Nasenfischlein blieben weiterhin in der Türkei, obwohl das Kapital mittlerweile auf beiden Seiten des Meeres regiert. Nur viele politische Flüchtlinge kamen zurück. Aber die Hoffnung stirbt noch nicht, dass auch die Nasenfischlein es sich vielleicht irgendwann wieder anders überlegen. Die Menschen in Odessa bemühen sich noch immer um die Rückkehr der Delphine, werfen ihnen Futter ins Wasser und locken sie mit verschiedenen erotischen akustischen Signalen, die sie für Delphin-affin halten. Aber bis jetzt umsonst.
    Der Wahrheit halber muss gesagt werden, dass es auch in der Sowjetunion Fischüberläufer aus dem Westen gab. Und das waren nicht nur kleine Fische, einmal kam ein ganzer Wal. Das größte Säugetier des Meeres strandete bei Kaliningrad, ehemals Königsberg, und starb, ohne den Menschen zu erklären, warum er beschlossen hatte, die letzten Augenblicke seines Lebens auf unserer Seite zu verbringen und im Sozialismus zu sterben. Die Wal-Leiche sorgte für ein ziemliches Durcheinander in der Region. Niemand wusste, was man mit ihr machen sollte. Sie wurde auf Befehl der Bezirksverwaltung in die nächste Stadt eskortiert und dem örtlichen naturwissenschaftlichen Museum anvertraut mit der Anweisung, die Leiche zu präparieren und das Walskelett im Rahmen der Ausstellung »Seltene Lebensformen unserer Region« auszustellen.
    Bloß – wie macht man aus einer frischen Leiche ein Skelett? Der Direktor des naturwissenschaftlichen Museums entschied sich für den natürlichen Weg. Er beschloss, die Leiche zu vergraben, um nach zwanzig Jahren ein fertiges Skelett aus der Erde zu holen. Wir hatten schließlich Zeit. Die Ausstellung »Seltene Lebensformen unserer Region« war wahrscheinlich für die Ewigkeit geplant. Um den Skelettierungsprozess zu beschleunigen, ordnete der Direktor einen Subbotnik an. Einen ganzen Tag lang schnitten die Mitarbeiter des naturwissenschaftlichen Museums zusammen mit einer ihnen zur Unterstützung zugewiesenen Armeeeinheit der dortigen Raketenabwehr alles Überflüssige am Wal ab, um möglichst wenig Fleisch eingraben zu müssen. Das Exponat stank bestialisch, und es ging nicht ohne Unfälle ab. So fiel ein Fähnrich in eine Öffnung am Walkopf, von der niemand gewusst hatte. Am späten Abend wurde der Restwal eingegraben. Die Soldaten und Wissenschaftler gingen müde, aber zufrieden in ihre Gebäude zurück.
    Zehn Jahre später kippte der Sozialismus. Ein neuer kapitalistischer Direktor leitete fortan das Museum. Es war an der Zeit, alle Untaten der Vergangenheit aufzuklären. Er befragte die alten Kader, wo sie den Wal eingegraben hatten, doch niemand konnte sich mehr an den Ort erinnern. Sogar der Fähnrich, der damals in den Kopf des Wales gefallen war und sich beinahe den Hals gebrochen hatte, war sich unsicher. Zwei Baubrigaden schichteten die gesamte Erde im Umkreis des Museums um. Wochenlang. In ihrer Verzweiflung hätten sie beinahe das Fundament des Museums ins Rutschen gebracht. Einmal dachten sie, das Skelett endlich gefunden zu haben. Die halbe Stadt lief zusammen, wie damals, um das herübergeschwommene Tier zu bewundern. Doch das vermeintliche Skelett erwies sich als Rest der alten Wasserleitung. Wo ist denn bloß unser Wal geblieben, fragten sich die Bewohner enttäuscht und schauten in das Erdloch. Der Wal aber blieb verschwunden.

Der Wein der Erkenntnis
    Im Kaukasus sind die Angelmöglichkeiten begrenzt. Die meisten Flüsse sind zu flach und zu schnell. Je nach Jahreszeit trocknen sie entweder aus oder stürzen umgekehrt Unmengen von Wasser mit großer Geschwindigkeit die Berge herunter. Man müsste als Fisch über besondere Fähigkeiten verfügen, um es in solchen Flüssen längere Zeit auszuhalten oder gar eine Familie zu gründen. Fische, die diese Fähigkeiten nicht haben, werden von der Strömung ins Meer getragen.
    Die Fischarten, die in den Bergflüssen beheimatet sind, tragen äußerst passende Namen. Sie heißen »Dickkopf« und »Schnurrbart« und sehen aus wie Stalin. Ihre Haut gleicht farblich einer Uniform, und sie tragen Ganzkörperschnurrbärte, mit denen sie sich an den Steinen und Baumwurzeln festklammern, um der Strömung zu widerstehen. Gleichzeitig können sie sich bei Trockenheit tief in den Schlamm eingraben und dort über einen längeren Zeitraum ohne Wasser ausharren. Für Fischer sind diese Schnurrbärte eine große Herausforderung.

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