Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
Selbst wenn sie schon an der Angelschnur hängt, leistet ihre Beute noch starken Widerstand, hakt sich an den Steinen fest, stellt sich im Wasser quer und könnte einen kräftigen fünfzigjährigen Angler mitsamt seiner Ausrüstung ins Wasser ziehen.
Als Alternative zu den wilden Bergflüssen gibt es im Kaukasus jede Menge von Menschenhand geschaffene ruhige Teiche, wo die Fische gefüttert werden. Dort kann jeder Kaukasier für hundert Rubel einen ganzen Tag lang zwei Angeln auswerfen. Alles, was er fängt, darf er mit nach Hause nehmen. Auch in diesen Teichen leben Dickköpfe und Schnurrbärte, doch anders als in den Bergflüssen sind sie im Teich zahm, fettleibig und lassen sich leicht fangen.
Unser kaukasischer Nachbar Aram, ein leidenschaftlicher Angler, hat sich gleich in seinem Garten neben dem Wein einen eigenen Teich angelegt und mästet dort Fische, um nicht jedes Mal für seine Leidenschaft hundert Rubel zahlen zu müssen. Aram hatte gute Beziehungen zu einer Baubrigade, die in der nahen Stadt am Bau des neuen Einkaufscenters Magnet beschäftigt war. Die meisten Bauarbeiter waren Armenier wie er, und seine Landsleute schickten ihm gern für einen Tag einen Bagger vorbei. Das Wasser lag an unserer Ecke nicht sehr tief unter der Erde, und abends war der Teich schon fertig.
Mich ließ Aram gelegentlich in seinem Teich angeln, doch den dort angeblich lebenden Weißen Amur habe ich weder gefangen noch überhaupt gesehen. Dabei habe ich alles probiert: Regenwürmer und gekochte Maiskörner, leicht angebratenes Fleisch, bunte Plastikköder, gesalzenes Trockenbrot und sogar Whiskas, dieses schreckliche, nach toter Katze riechende Katzenfutter. Ich weiß inzwischen nicht mehr, was mich dazu veranlasst hat, das Katzenfutter als Fischköder zu probieren. Wahrscheinlich war es die Logik eines verzweifelten Anglers. Katzen mögen es, dachte ich. Außerdem mögen Katzen auch Fische. Also sollten die Fische das Katzenfutter ebenfalls nicht verschmähen. Doch ob in der Abenddämmerung oder im Morgenrot, der Weiße Amur ließ sich nicht blicken. Ich glaube, er war ein fauler Fisch, der nur einmal am Tag seine Schlafstelle verließ, um eine kurze Runde im Teich zu drehen, das herumschwimmende Fressen einzusammeln und sich danach schnell wieder zu verstecken. Der faulste aller Fische – der Weiße Amur.
Niedliche zeigefingergroße Fischlein hatte ich dagegen ständig an der Angel. Fischlein, die kleiner waren als der Haken, an dem sie sich verschluckten. Diese aquariumsgroßen Tiere wurden von dem armenischen Hauskater Noah auf der Stelle gefressen, noch bevor ich sie vom Haken lösen konnte. Aus Arams Kater wäre ein guter Angler geworden, wäre er ein Mensch gewesen. Auf jeden Fall hatte er die notwendigen Qualitäten, das Durchhaltevermögen, die Geduld und die wichtigste Fähigkeit: für längere Zeit in völlige Starre zu verfallen.
So verging mein Urlaub. Wir standen Tag für Tag am Ufer des Teiches, ich und der armenische Kater Noah, der nach dem berühmten Kapitän der Arche benannt worden war, der die Flut überlebt hatte und schließlich auf dem Berg Ararat gestrandet war. Die Flut bestand übrigens zuverlässigen Quellen zufolge aus kochendem Wasser, sodass auch kein Fisch sie überleben konnte. Die Seen glichen einer gigantischen Fischsuppe, und nur die Dickköpfe und Schnurrbärte überlebten die Flut. Die anderen feinen Fische starben, wenn sie vom alten Noah nicht in die Arche aufgenommen worden waren. Es sollten eigentlich von jeder Sorte ein Paar gerettet werden, damit sie sich vermehren konnten, um eines Tages vielleicht zu begreifen, was Gott von ihnen wollte.
Denn ein Leben ist zu kurz und zu individuell, um die Welt zu verstehen. Das Leben einer Sippe dagegen kann mehr erklären, so behauptete auf jeden Fall mein Nachbar Aram. Sein eigenes Geschlecht führte er auf Noah persönlich zurück, der seinerseits ein Nachkomme von Set war, der dritte Sohn von Adam und Eva. Auf diese Weise ist mein Nachbar mit dem ersten Menschen direkt verwandt. Die Nachkommen der ersten zwei Söhne Adams, Kain und Abel, haben es dagegen nicht geschafft, sich bis in die heutige Zeit fortzupflanzen. Der eine, Abel, wurde von seinem Bruder umgebracht, dessen Nachkommen wiederum wenig später in der Flut umkamen.
Dabei war der Konflikt zwischen den beiden Brüdern völlig nichtig und ursprünglich beruflicher Art. Abel war Hirte, Kain betrieb Ackerbau. Beide hatten Gott einen Großteil ihrer Ernte als Dankopfer
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