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Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)

Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)

Titel: Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Spitzer
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wieder beruhigt.
    Seit einigen Jahren können wir noch viel, viel beruhigter sein, denn im Laufe der neunziger Jahre wurde immer klarer, dass bei Mäusen und Ratten tatsächlich Nervenzellen nachwachsen; zuvor war dies bereits bei Singvögeln nachgewiesen worden. Mitte der neunziger Jahre entbrannte dann ein heftiger Streit in der neurowissenschaftlichen Gemeinschaft darüber, ob es nachwachsende Nervenzellen auch bei erwachsenen Menschen gäbe. Dieser Streit war fruchtbar, denn er hat zu einer ganzen Reihe von Studien geführt, die den Sachverhalt klären konnten: In der Großhirnrinde, also dem, was man im Wesentlichen sieht, wenn man das Gehirn von außen betrachtet, wachsen bei erwachsenen Menschen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Nervenzellen nach. [43]   Im Hippocampus hingegen sterben, wie bereits dargestellt, Nervenzellen sehr leicht ab, andererseits wachsen genau hier auch Nervenzellen nach, also jetzt gerade beispielsweise auch bei Ihnen!
    Warum aber findet dann Gehirnwachstum an ganz unterschiedlichen Orten im Gehirn statt, wenn doch neue Neuronen nur im Hippocampus nachwachsen? Weil Gehirnwachstum und das Nachwachsen von Neuronen nicht das Gleiche sind. Wenn Bereiche der Gehirnrinde durch entsprechendes Training wachsen, dann werden keine zusätzlichen Neuronen gebildet. Die vorhandenen Neuronen werden vielmehr größer, denn ihre Verbindungsstellen werden dicker, und es gibt mehr baumartige Fortsätze, deren Verzweigung ebenfalls zunimmt. Das Wachstum eines Bereichs der Gehirnrinde bedeutet also nicht, dass dort neue Neuronen entstanden sind, sondern dass die bereits vorhandenen Strukturen sich verändert haben.
    Ganz anders verhält es sich beim Hippocampus. Dort arbeiten die Nervenzellen permanent auf Volllast und sterben daher auch am leichtesten ab, wenn noch eine zusätzliche Belastung, wie beispielsweise Stress, hinzukommt. Allerdings werden sie durch neu heranwachsende Nervenzellen ersetzt. In Studien an Ratten konnte man beispielsweise zeigen, dass im Hippocampus jeden Tag etwa 5000 bis 10 000 Nervenzellen neu gebildet werden. Im Hinblick auf den Hippocampus des Menschen kennen wir leider bis heute keine Werte, es ist aber nicht zu vermuten, dass diese geringer ausfallen als bei der Ratte.
    Vor kurzem konnte nachgewiesen werden, dass diese neu gebildeten Nervenzellen besonders lernfähig sind. Man möchte nun kommentieren: »Kunststück, sie haben ja auch noch nichts gelernt, sind also jung und frisch.« So einfach ist die Sache jedoch nicht. Es ist nämlich keineswegs trivial, dass neu gebildete Nervenzellen auch funktionieren, denn zur Ausübung ihrer Funktion müssen sie ja in vorhandene Netzwerke eingebaut sein. Mein Computer auf dem Schreibtisch wird ja auch nicht einfach schneller, wenn ich ein paar Chips irgendwo einbaue. Nur durch die entsprechenden Verbindungen mit den bereits vorhandenen Chips können zusätzliche Komponenten der Informationsverarbeitung genutzt werden. Bei nachwachsenden Nervenzellen ist das nicht anders. Deren Vorhandensein im Gehirn allein bringt noch gar nichts, denn sie müssen mit den bereits vorhandenen Strukturen vernetzt sein. Nur dann können sie ihren Beitrag zur Funktion des Gesamtsystems leisten.
    Wie weitere Studien zeigen konnten, ist dieser Einbau in die vorhandenen neuronalen Netze sogar Voraussetzung dafür, dass die neu gebildeten Neuronen überleben. Werden sie nicht eingebaut, dann sterben sie nach wenigen Wochen wieder ab. Wie geschieht nun dieser Einbau? Mit sehr geschickt durchgeführten Experimenten konnte nachgewiesen werden, dass die Vernetzung neu gebildeter Nervenzellen durch genau diejenige Tätigkeit erfolgt, für die sie ohnehin geschaffen sind: durch Lernen. [44]   Entscheidend ist, dass nicht einfach nur irgendetwas Einfaches gelernt wird, sondern dass die neu gebildeten Nervenzellen mit schwierigen Aufgaben richtig gefordert werden. In Studien mit Ratten konnte man tatsächlich zeigen, dass einfache Lernaufgaben das Absterben neu gebildeter Nervenzellen im Hippocampus nicht verhindern, kompliziertere Lernaufgaben jedoch sehr wohl. Die neuen Nervenzellen müssen also nach ihrer »Geburt« richtig herausgefordert werden, um am Leben zu bleiben.
    Seit einigen Jahren ist bekannt, dass bei Ratten Nervenzellen vor allem dann in großer Zahl nachwachsen, wenn sie – beispielsweise durch ein Laufrad im Käfig – die Möglichkeit haben, sich zu bewegen. Diese Erkenntnis ist auch in Bezug auf den Menschen wichtig.

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