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Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)

Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)

Titel: Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Spitzer
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Ich werde oft von Patienten gefragt, was man denn tun könne, um sich im Alter geistig fit zu halten. Meine Antwort lautet, für die Patienten oft überraschend: »Vergessen Sie Kreuzworträtsel und Sudoku; gehen Sie joggen!« Denn die moderne Gehirnforschung zeigt: Das beste Gehirnjogging ist schlicht und einfach Jogging. Wenn dann allerdings die neuen Nervenzellen gebildet wurden, dann reicht das Wiederkäuen von vorhandenem Wissen nicht aus, um sie am Leben zu erhalten. Man muss vielmehr etwas richtig Schwieriges lernen.
    Was sind das für »schwierige Aufgaben«, die offenbar für das Überleben neuer Nervenzellen ermöglichen? Im Wesentlichen geht es bei diesen Aufgaben nicht darum, auswendig Gelerntes wiederzugeben. Das ist viel zu leicht. Auch das Erlernen eines einfachen Zusammenhangs – beispielsweise: Immer wenn die Glocke läutet, gibt es etwas zu essen – reicht nicht. Wenn ein Tier (oder auch ein Mensch) dies gelernt hat, dann läuft ihm die Spucke schon im Mund zusammen, wenn die Glocke klingelt und noch gar kein Essen da ist. Solche einfachen Lernvorgänge – man spricht von einem bedingten, d.h. gelernten, Reflex – halten neue Nervenzellen nicht am Leben. Hierfür sind Aufgaben erforderlich, bei denen man sich in einem bestimmten Kontext aufgrund von aktuell vorliegenden Signalen und in Kombination mit Wissen, das in der Vergangenheit erworben wurde, entsprechend verhalten muss. So planen wir (und Ratten auch) die Zukunft sinnvoll aufgrund von Vorerfahrungen, der Kenntnis der Umgebung, und dem, was aktuell wahrgenommen wird – etwa Futter oder ein Feind. Nur wer hier richtig plant, wird entsprechend sinnvolles Verhalten an den Tag legen.
    Das klingt ziemlich kompliziert und ist es teilweise auch. Wenn man allerdings ein bisschen darüber nachdenkt, ist es genau das, was wir Menschen täglich tun: Wir haben unsere Erfahrungen, kennen uns in unserer Umgebung aus und bewältigen die Anforderungen und Wechselfälle unseres Alltags. Insbesondere haben wir dauernd mit anderen Menschen zu tun; wir müssen bewerten, entscheiden und handeln und uns dabei permanent mit anderen abstimmen. Wir müssen planen und Pläne auch wieder verwerfen, Vereinbarungen treffen, uns daran halten und vieles mehr. Genau das – also das Leben in seiner vollen Breite und Tiefe – ist es, was unsere Nervenzellen, die gerade nachgewachsen sind, am Leben hält. Kurz gesagt: Beschäftigen Sie sich statt mit Kreuzworträtsel und Sudoku öfter mit einem Ihrer Enkel. Und wenn Sie keinen haben, dann leihen Sie sich einfach einen aus.
    Man konnte diese Zusammenhänge – wiederum in Studien mit Ratten – dadurch noch genauer aufklären, indem mittels radioaktiver Bestrahlung die Neubildung von Nervenzellen im Hippocampus verhindert wurde. Die so behandelten Tiere konnten einfache Lernprozesse durchaus bewältigen, bei schwierigen jedoch versagten sie. In einer entsprechenden Übersicht schreibt die amerikanische Neurowissenschaftlerin Tracey Shors, die zusammen mit Elizabeth Gould wesentlich an den hier beschriebenen Entdeckungen beteiligt war: »Alles in allem waren die basalen Lernfähigkeiten von Ratten mit wenigen oder keinen neuen Neuronen relativ unbehindert. Die Tiere hatten jedoch Schwierigkeiten, neue Verbindungen zu lernen, also beispielsweise, dass ein bestimmter Ton immer eine halbe Sekunde vor der Berührung ihres Augenlids erklingt. Wir denken daher, dass die neuen Neuronen nur dann für Lernprozesse notwendig sind, wenn sie in ganz bestimmten Situationen gebraucht werden, die eine gewisse geistige Anstrengung erfordern. In biologischer Hinsicht macht diese Art der Spezialisierung sehr viel Sinn: Ein Tier würde eigentlich keine neuen Neuronen produzieren wollen, nur um die basalen Funktionen des Überlebens zu sichern. Sofern neu gebildete Zellen ausgereift sind, werden sie vielmehr eher dazu verwendet, bereits vorhandene Fähigkeiten zu stärken und zu perfektionieren. In der Sprache der Psychologie nennt man dies das Lernen lernen. « [45]  
    Was heißt das nun für den Menschen? Was geschieht, wenn man beim Menschen die Bildung neuer Nervenzellen unterbricht? Wir haben es den »Segnungen« der modernen Medizin zu verdanken, dass wir die Antwort darauf kennen: Krebspatienten, bei denen eine Chemotherapie durchgeführt wird, erhalten hochwirksame Medikamente, welche die Neubildung von Zellen unterdrücken. Hierdurch wird das Tumorwachstum gehemmt, aber leider eben auch die ganz normale Neubildung von

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