Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)
anders. Sie lernen sehr schnell, und was auch immer sie lernen, hat eine gute Chance, lebenslang hängenzubleiben. Deswegen wollen wir Kinder so lange wie möglich von digitalen Medien fernhalten.
»Was Computerspiele betrifft, so stehen Kindern, die nie an einer Playstation spielen, andere gegenüber, für die diese zum Alltag gehört. Dementsprechend zeigen sich bei Kindern auch Unterschiede in ihrer Medienkompetenz«, kann man in einer an Eltern gerichtete Broschüre der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung lesen. [368] Hier wird den Eltern also deutlich nahegelegt, ihren Kindern eine Playstation zu schenken. Wer will schon ein inkompetentes Kind?
Ich halte es für einen ausgewachsenen Skandal, dass eine öffentliche Institution hier offen Produktwerbung betreibt, noch dazu für ein Produkt, das den Kindern nachweislich schadet. Es ist ein noch größerer Skandal, dass Eltern hier die Unwahrheit gesagt wird: Es gibt nämlich keinerlei Hinweise darauf, dass eine Playstation zu mehr Medienkompetenz führt, nicht einmal darauf, dass Medienkompetenz überhaupt zu irgendetwas gut ist. Vielmehr ist schon das Wort recht tückisch, gaukelt es doch vor, der Umgang mit digitalen Medien sei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, einen Text zu lesen. Denn der Begriff »Medienkompetenz« ist ganz bewusst dem Wort »Lesekompetenz« angeglichen und stellt damit den Umgang mit digitalen Medien mit dem Lesen von Büchern sprachlich auf die gleiche Stufe. In dieser Hinsicht folgen wir den Engländern und Amerikanern, die von media literacy (Medienkompetenz) und literacy (Lesefähigkeit) sprechen.
Oft wird behauptet, bei der Medienkompetenz handle es sich um eine »Schlüsselkompetenz«, »Kernkompetenz« bzw. »Kulturtechnik«. Bei Licht betrachtet, sind mit Medienkompetenz jedoch weder das Programmieren noch logisches Denkvermögen (Boolsche Algebra) noch andere grundlegende mit Bildschirmmedien verbundene intellektuelle Fähigkeiten gemeint, sondern zunächst einmal nichts weiter als oberflächliche Kenntnisse verbreiteter Anwender-Software. Wer dies nicht glaubt, sollte einmal nachsehen, was im Fach »Informationstechnik« tatsächlich gelehrt wird, wenn Schüler mit dem Computer arbeiten: die Schwächen der Produkte der weltgrößten Software-Firma – Word, Excel und PowerPoint. Wer also Computer literacy mit literacy gleichsetzt, der erhebt das Beherrschen einiger Tricks und vor allem den Umgang mit vielen Problemen und Fehlern von Produkten der Firma Microsoft in seiner Bedeutung auf eine Stufe mit dem Lesen von Goethe und dem Schreiben von Aufsätzen. Dies ist ein ungeheuerlicher Vorgang!
Das Irreführende am Begriff der Medienkompetenz ist zudem, dass man zur Nutzung des Computers oder des Internets nicht irgendeine Spezialfähigkeit benötigt (sieht man von ein paar Mausklicks und der oberflächlichen Kenntnis von Anwender-Software ab, die sich jeder innerhalb weniger Stunden aneignen kann). Man braucht vielmehr eine solide Grund- oder Allgemeinbildung. Wenn man diese erworben hat (nicht über Computer und Netz, denn man braucht sie schon zu deren Nutzung), dann kann man auch im Internet vieles finden und sich eingehend informieren. Wer jedoch (noch) nichts weiß, der wird durch digitale Medien auch nicht schlauer. Denn man braucht Vorwissen über ein Sachgebiet, um seine Kenntnisse dann zu vertiefen.
Wer das nicht glaubt, der sollte einmal bei einer Suchmaschine einen Sachverhalt eingeben, von dem er absolut keine Ahnung hat. Er wird dann rasch merken, dass ihm Google auch nicht helfen kann. Umgekehrt gilt: Je mehr ich schon weiß, desto eher werde ich im Netz auch noch die letzten mir bislang unbekannten Details finden, desto eher werde ich etwas interessantes Neues finden und desto schneller werde ich meine Recherche abgeschlossen haben. Zur Lösung unserer Probleme brauchen wir Experten – Mediziner und Ingenieure, Juristen und Wirtschaftler, Physiker, Chemiker und Biologen, Gesellschafts- und Geisteswissenschaftler. All diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein solides Wissen in ihrem Fach haben, einen Überblick in einem Sachgebiet, der es ihnen erlaubt, in vielen Fällen sofort das Richtige oder Angemessene zu tun und ansonsten rasch noch mehr Fachwissen zu generieren, um dann die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, zu entscheiden und zu handeln.
Stellen Sie sich vor, Sie erzählen Ihrem Arzt von Schmerzen in der linken Brust, und er wendet sich sofort seinem PC zu und googelt den
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