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Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)

Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)

Titel: Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Spitzer
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lernen, denn er ist viel geduldiger als ein Mensch. Das Dumme ist nur: Kaum ein Zwölfjähriger verwendet den Computer dafür. Stattdessen wird geballert und anderer verdummender und aggressionsfördernder Unfug angestellt.
    Besonders kritisch zu bewerten ist die Tatsache, dass mit Schlagwörtern wie »Medienkompetenz« gerade den verunsicherten Eltern aus sozial eher schwachen Schichten vorgegaukelt wird, sie würden etwas Gutes tun, wenn sie ihr knappes Geld in rasch veraltende Hard- und Software stecken. »Wenn Sie Ihr Kind nicht von klein auf vor den Computer setzen, dann ist sein Schicksal als Fließbandarbeiter oder Mülltonnenleerer besiegelt«, suggeriert die Industrie – und viele Pädagogen stimmen fröhlich ein, was dazu führt, dass insbesondere Eltern mit wenig Geld meinen, sich den Computer für den Nachwuchs vom Munde absparen zu müssen. »Wenn Medienkompetenz so wichtig ist wie Lesekompetenz, dann muss man in Bildschirmmedien investieren, auch wenn das schwerfällt.«
    Das Ganze ist deswegen so heimtückisch, weil die Eltern gar nicht wissen können, dass der neue Computer zu Hause der schulischen Entwicklung ihres Kindes, an der ihnen ja so viel liegt, schaden wird. Sie lesen keine Publikationen zur multivariaten Analyse der PISA-Daten und geben in gutem Glauben Geld für das Wohl ihres Kindes aus und schaden ihm zugleich damit. Ich finde es sehr schwer verständlich, warum gerade in diesem Bereich keine Verantwortung für mehr Aufklärung übernommen wird. Professoren für Medienpädagogik und Politiker lassen sich vielfach zu Marktschreiern der Industrie missbrauchen und schaden damit ökonomisch und gesundheitlich genau denen, deren Interessen sie vorgeben (oder beauftragt sind) wahrzunehmen.

Medienkompetenz?
    Wie in Kapitel 12 dargelegt, weisen in Südkorea, dem Land mit der weltweit derzeit wohl intensivsten Nutzung digitaler Medien, zwölf Prozent der jungen Leute ausgeprägte Suchtsymptome auf. Ganz besonders fehlgeleitet scheinen vor diesem Hintergrund die Forderungen nach mehr Medienkompetenztraining in Kindergarten und Grundschule. Was würden Sie sagen, wenn jemand das Training von Alkoholkompetenz im Kindergarten oder als Schulfach einführen würde? »Wir müssen den Kindern so früh wie möglich den verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol beibringen. Nur so können sie in der heutigen Welt mit dem Überangebot von Alkohol und anderen Suchtstoffen bestehen.«
    Wer glaubt, dass ich hier rhetorisch übertreibe, sei daran erinnert, dass es in der Sekundarstufe I tatsächlich entsprechende Versuche gab. Man wollte Jugendliche vom Drogenkonsum fernhalten, wozu ein sogenannter Drogenkoffer für den Sozial- oder Gemeinschaftskunde-Unterricht ab Klasse 8 zur Verfügung gestellt wurde. Er enthielt allerlei Muster und Paraphernalia von illegalen Drogen, die darüber informieren sollten, was es alles gibt und wie gefährlich es ist. Dies hielt die Jugendlichen jedoch keineswegs vom Konsum illegaler Drogen ab. Im Gegenteil: Der Koffer weckte Interesse! Wer noch nicht Bescheid wusste, der wurde spätestens während des Unterrichts mit dem Drogenkoffer neugierig. Ausleben konnte man diese Neugierde zwar nicht im Unterricht, am Nachmittag oder Abend hingegen schon. So wurde der Drogenkoffer wieder aus der Schule verbannt, denn er bewirkte das Gegenteil von dem, was er sollte.
    Nicht anders ist das mit Computer und Internet in Kindergarten und Grundschule: Ihr Effekt wird in der Drogenszene als anfixen bezeichnet, womit ganz allgemein »Neugier wecken« gemeint ist, im Drogenmilieu jedoch speziell das Überreden von jemandem, der noch kein Rauschgift genommen hat, sich zum ersten Mal eine Droge zu injizieren. Wer in jungen Jahren schon mit den digitalen Medien in Kontakt kommt, lernt auch mit großer Wahrscheinlichkeit schon sehr früh, wie und wo man an all die verbotenen oder zumindest von den Eltern unerwünschten Inhalte kommt.
    Nun gibt es durchaus gute Gründe, warum wir Erwachsenen manche Inhalte von Kindern fernhalten möchten, denn wir wissen, dass das Gehirn von Heranwachsenden besonders formbar ist und »auf die Dauer die Farbe der Gedanken annimmt«, wie es der römische Kaiser Marc Aurel so schön formulierte. Das Gehirn von erwachsenen Menschen, so kann man durchaus mit einiger neurobiologischer Unterstützung argumentieren, ist vergleichsweise fertig, wenig veränderbar und damit robust gegenüber schlechten Gedanken. Es dauert sehr lange, bis diese »abfärben«. Bei Kindern ist das

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