Diktator
verschwunden warst.«
»Was denn?«
»Ich bin wegen meiner Beziehung zu dir denunziert worden. So ein hartgesichtiges Miststück an der Schule war’s. Wahrscheinlich eifersüchtig. Oder frigide.« Sie lachte. »Man hat die Wände meiner Wohnung mit Farbe und Sprüchen beschmiert.«
Er nickte. »Solche Leute reden immer von ›Deutschenliebchen‹.«
»Ich habe sie gehasst, diejenigen, die auf solche Weise ihre Stimme gegen andere erheben. Was wussten die schon von meinem Herzen? Also habe ich weiterhin rebelliert. Ich habe mir einen neuen Liebhaber genommen.« Sie schaute ihm ins Gesicht. »Tut mir leid. Keinen Liebhaber. Ich habe ihn nicht geliebt … Ich hab’s eigentlich nur getan, um es denen heimzuzahlen, die mich beleidigt hatten. Eine kindische Rebellion, nicht? Trotzdem, er war da, und unsere gemeinsame Zeit war … akzeptabel. Er hat mir Geschenke gebracht, so wie du. Und nach der Denunziation konnte ich nicht mehr an der Schule arbeiten.«
»Oh. Also hat er dich bezahlt.«
»Das hatte nichts zu bedeuten. Aber dann ist er in den Osten versetzt worden, und weg war er, nicht ohne mir die Ohren über seine Frau und seine beiden Jungs vollzuheulen. Ich hab nie mehr was von ihm gehört.«
»Aber du brauchtest das Geld.«
»Ein anderer Mann ist gekommen. Ein Freund des
ersten. Er hat gesagt, Hansi habe so viel von mir erzählt, und na ja … So hat’s angefangen. Ausschließlich Mundpropaganda, und alles feine Herren, wenn ich so sagen darf. Ich glaube, sie haben mich gemocht, jeder auf seine Weise.«
»Und dann?«
»Und dann kam die Resistance. Scheißkerle«, sagte sie mit plötzlicher Vehemenz. »Was für tapfere Männer, auf eine einzelne Frau loszugehen. Ist ja auch viel leichter, als gegen die Deutschen zu kämpfen.«
»Bist du angegriffen worden?«
»Sie hätten mir das Gesicht zerschnitten, wenn ich nicht entwischt wäre. Die Polizei ist zu mir gekommen, und als sie es rausfanden, du weißt schon, haben sie mich den Militärbehörden überstellt. Danach gab es keine Probleme mehr.« Sie sah ihn an. »Du bist bei der Wehrmacht. Du weißt, wie’s läuft. Das Militär betreibt die Häuser. Die Mädchen bekommen ihre Karten. Ich bin auf Infektionen untersucht worden und hatte ein Einstellungsgespräch.« Sie lachte darüber. »Ein Einstellungsgespräch! Sie bevorzugen anständige Mädchen als Huren für ihre Soldaten. Tja, ich habe die Prüfung bestanden.«
»Und dann bist du nach England gekommen?«
»Die Behörden importieren französische Huren für die Männer hier. Stell dir das vor! Die Engländerinnen sind so kalt, dass sie sich nicht mal richtig prostituieren können. Darüber sollte Churchill mal eine Rede halten. Und der Widerstand hier lässt die ausländischen Mädchen wenigstens in Ruhe.«
»Also bist du wegen der Wehrmacht hergekommen«, sagte er. »Um zu arbeiten. Nicht meinetwegen.«
»Nein! Oh, Ernst, nein. Du denkst immer in so geraden Bahnen. Für dich gibt’s nur entweder – oder, stimmt’s? Nichts dazwischen. Nein, ich wollte dich sehen. Das will ich immer noch.« Sie beugte sich vor. »Warum verschwinden wir nicht von hier? Wir könnten ins Wohnheim gehen.«
Er stand auf, erfüllt von einer Art Panik, und schob seinen Stuhl zurück. Er versuchte, sich zu beruhigen. Dann zückte er die Brieftasche, nahm ein paar Reichsmarkscheine heraus und legte sie auf den Tisch, unter die Weinflasche. »Kommst du allein zurück?«
Sie machte ein verwirrtes Gesicht. »Ja – es gibt Taxis – oh, Ernst, geh nicht.«
Er schaute auf sie hinab, schön wie eh und je, und ihre leuchtend roten Lippen glänzten noch immer. »Tut mir leid.« Er drehte sich auf dem Absatz um und ging davon.
XVII
9. November
Die Gefangenen wurden von Trompetensignalen geweckt.
Sie versammelten sich zum Morgenappell. Die Nazi-Fahne und die Fahne von Albion flatterten hoch oben an ihren Masten, gelüpft von einer eisigen Brise unter einem leuchtend blauen Himmel. In ihre schäbigen Mäntel gehüllt, stampften die Männer mit den Füßen und bliesen sich in die Hände. Der Lagerkommandant verkündete in energischem Ton, die regulären sonntäglichen Arbeitstrupps brauchten heute nicht auszurücken. Gedämpfter Jubel. Schon wieder irgendein Gedenktag. Doch dann gab Danny Adams bekannt, dass die britischen Soldaten um elf Uhr eine Parade abhalten und eine Schweigeminute einlegen würden.
»Oh, das ist kein x-beliebiger Gedenktag, alter Kumpel«, sagte Willis Farjeon, der neben Gary in der Reihe
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