Dimension 12
Mr. Hallinan waren die üblichen Leute anwesend. Die Party wurde kein Erfolg. Manche, die nicht wußten, daß Mr. Hallinan nicht eingeladen worden war, warteten ungeduldig auf eine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Als sie erfuhren, daß er nicht kommen würde, verabschiedeten sie sich vorzeitig.
»Wir hätten ihn doch einladen sollen«, sagte Ruth Heyer, nachdem der letzte Gast gegangen war.
Heyer schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin froh, daß wir es nicht getan haben.«
»Aber der arme Mensch sitzt ganz allein in seinem Haus, während wir uns hier unterhalten. Er wird doch hoffentlich nicht beleidigt sein? Und uns womöglich in Zukunft schneiden?«
»Das ist mir einerlei«, brummte Heyer.
Von seinem Mißtrauen gegen Mr. Hallinan wurde die ganze Gemeinde angesteckt. Zuerst unterließen es die Muirs, dann die Harkers, ihn zu ihren Gesellschaften einzuladen. Er hielt unverändert an seinen Nachmittagsspaziergängen fest. Sein Gesicht hatte einen leicht gequälten Ausdruck angenommen, obwohl er noch immer freundlich lächelte und unbefangen plauderte und keine bitteren Bemerkungen machte.
Und am 3. Dezember, einem Mittwoch, fielen der zehnjährige Roy Heyer und der neunjährige Philipp Moncrieff vor dem Schulgebäude über den ebenfalls neunjährigen Lonny Dewitt her, als Mr. Hallinan auf seinem Spaziergang in die Schulgasse einbog.
Lonny war ein merkwürdiger Junge, dessen Schweigsamkeit seine Eltern zur Verzweiflung trieb und seine Klassenkameraden zur Bosheit reizte. Stets hielt er sich abseits, sprach wenig, drückte sich in Winkel und rührte sich von dort nicht mehr weg. Die Leute blickten einander vielsagend an, wenn sie ihm auf der Straße begegneten.
Roy Heyer und Philipp Moncrieff waren entschlossen, Lonny Dewitt zum Sprechen zu bringen, wenn es sein mußte, auch mit Hieben.
Und es mußte sein. Sie boxten ihn und stießen ihn ein paar Minuten lang. Dann sahen sie Mr. Hallinan kommen und liefen davon. Lonny aber blieb weinend auf den breiten Stufen vor dem leeren Schulgebäude stehen.
Er sah auf, als der große Mann zu ihm trat.
»Sie haben dich verprügelt, wie? Dort drüben laufen sie.«
Lonny weinte weiter. Er dachte: Mit dem Mann stimmt etwas nicht. Aber er will mir helfen. Er versucht, nett zu mir zu sein.
»Du bist Lonny Dewitt, nehme ich an. Warum weinst du? Na, komm, Lonny, hör doch auf! So schlimm war’s auch wieder nicht.«
Richtig, sagte Lonny stumm. Aber ich weine gern.
Mr. Hallinan lächelte aufmunternd. »Jetzt erzähl mir mal alles. Etwas bedrückt dich doch, nicht wahr? Da steckt dir so ein großer Kloß in der Kehle, daß du ganz traurig davon wirst. Erzähle mir, was es ist, Lonny, dann verschwindet er.« Er ergriff die kalten kleinen Hände des Jungen und drückte sie.
»Will nicht reden«, sagte Lonny.
»Aber ich bin dein Freund. Ich möchte dir helfen.«
Lonny musterte ihn scharf und bemerkte plötzlich, daß der große Mann die Wahrheit sagte. Er wollte Lonny helfen. Mehr als das: er mußte Lonny helfen. Dringend. Er bettelte darum. »Also komm, sag schon«, wiederholte Mr. Hallinan.
Schön, dachte Lonny. Dir sage ich’s.
Und er öffnete die Schleusen. Was sich in neun Jahren an Unterdrückung und Qual aufgestaut hatte, brach nun in einer Sturzwelle hervor.
Ich bin allein und sie mögen mich nicht, weil ich alles im Kopf mache und sie mich nie verstanden haben und sie halten mich für verrückt und sie hassen mich und ich sehe wie sie mich komisch angucken und sie sagen komisches Zeug über mich, weil ich mit meinen Gedanken zu ihnen reden möchte und sie aber nur Worte hören können, und ich hasse sie hasse sie hasse hasse hasse…
Lonny brach jäh ab. Er hatte alles hervorgesprudelt und jetzt fühlte er sich wohler, von dem Gift befreit, das er jahrelang in sich getragen hatte. Aber Mr. Hallinan sah komisch aus. Er war ganz grün im Gesicht, und er taumelte.
Erschrocken streckte Lonny seine Gedanken nach dem großen Mann aus. Und empfing:
Zu viel. Viel zu viel. Hätte dem Jungen niemals in die Nähe kommen dürfen. Aber die Erwachsenen haben mich ja nicht lassen.
Ein Witz: ein aufgeladener Zwangssender überlastet die Zwangseinfühlung und brennt sie aus.
… als ob man in einen Hochspannungsdraht greift …
… er war der Sender, ich der Empfänger, aber er war zu stark…
Und vier letzte, bittere Worte: Ich… war … ein… Parasit…
»Bitte, Mr. Hallinan«, sagte Lonny laut. »Ihnen darf jetzt nicht schlecht werden. Ich möchte Ihnen noch etwas
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