Dimension 12
»Hmpfh.«
»Er ist unser Intellektueller«, sagte Mike vertraulich. »Läßt uns die halbe Nacht nicht schlafen, weil er lesen will. Aber wir leben trotzdem. Wir müssen ihn nehmen, wie er ist, weil er unser zentrales Nervensystem und die Hälfte unserer Arme besitzt.«
Milissa bemerkte, daß die Brüder vier Arme hatten, an jeder Schulter einen, die vermutlich von Mike und Jim verwendet wurden, und tiefer unten zwei weitere. Dieses Paar war arrogant verschränkt, um zu zeigen, daß es ausschließlich dem Gebrauch des selbstbewußten Josef vorbehalten war.
»Sie sind von der Erde?« fragte Milissa betroffen.
»Mutationen«, sagte Jim.
»Eingriff in die Erbmasse«, erklärte Mike.
»Auswüchse meiner Schultern«, murmelte Josef.
»Er bildet sich immer ein, daß er als erster zur Welt kam«, sagte Mike. »Und daß Jim und ich später aus seinem Körper wucherten.«
Einem Familienstreit schien nichts mehr im Wege zu stehen. Milissa fragte sich, wie eine Auseinandersetzung dieser Brüder aussehen mochte. Aber eine ihrer Pflichten bestand darin, die Eintracht der Passagiere aufrechtzuerhalten. »Möchten Sie irgend etwas Besonderes von mir, Mr. Grigori?« fragte sie Mike. »Andernfalls muß ich mich mit den anderen Passagieren…«
»Was Bestimmtes? Klar. Ein Rendezvous mit Ihnen, wenn wir auf der Erde gelandet sind. War noch nie mit einem Wega-Mädchen verabredet – aber diese blaue Haut ist wirklich sehr apart.«
»Einspruch«, sagte Josef, ohne den Kopf zu wenden.
Mike drehte sich erbost um. »Was heißt ›Einspruch‹? Hör zu, lieber Bruder, du kannst nicht bei allem und jedem…«
»Sie lehnt ja doch ab«, sagte Josef. »Verschwende nicht unsere Zeit mit Liebeleien. Ich versuche zu denken, und dein Geschwätz lenkt mich ab.«
Wieder machte sich die Spannung bemerkbar. Milissa sagte hastig: »Ihr Bruder hat recht, Mr. Grigori. Die Dienstvorschrift verbietet es dem Personal, sich mit Passagieren zu verabreden.«
Zwei der drei Köpfe drückten deutlich Enttäuschung aus. Josef hingegen blickte doppelt blasiert vor sich hin. Ehe die Brüder aber neuerlich zu streiten begannen, schleuderte plötzlich mehrere Sitzreihen weiter hinten ein Geschöpf mit empörtem Aufschrei die Zeitschrift von sich, in der es eben gelesen hatte.
»Entschuldigen Sie mich«, sagte Milissa. »Ich muß nachsehen, was dort los ist.«
Dankbar für den Vorwand entfernte sie sich. Der Passagier, der die Zeitschrift zu Boden geworfen hatte, war ein kleines, rosiges Wesen. Seine Augen, die an fünfzehn Zentimeter langen Augenstielen hingen, vibrierten. Vermutlich verhieß das schlechte Laune.
Milissa bückte sich. Mit einer Hand hielt sie den Ausschnitt ihrer Uniform fest, weil sich die sexuellen Gewohnheiten dieser Fremden beim besten Willen nicht erraten ließen. Sie hob die Zeitschrift auf. »Science Fiction Stories«, lautete der Titel. Darunter starrte ihr von dem glänzenden Einband das Bild eines eigenartigen Geschöpfes entgegen, das dem Passagier vor ihr sehr ähnlich sah.
»Sie haben etwas verloren, Mister…«
»Dellamon«, antwortete der Fremde mit gereizter Stimme. »Thogral Dellamon von Prokyon V. Und ich habe die Zeitschrift nicht verloren, ich habe sie hingeknallt, wie Sie deutlich bemerkt haben.«
Sie lächelte abbittend. »Natürlich, Mr. Dellamon. Hat Ihnen etwas an dieser Zeitschrift nicht gefallen?« Sie sah, daß der Band irdischen Ursprungs war.
»Nicht gefallen? Die reinste Verhörung ist das!« Er riß ihr das Heft aus der Hand, blätterte es durch, fand die gesuchte Seite und gab ihr das Heft zurück.
Die Zeitschrift war auf Seite 113 aufgeschlagen. »Sklaven der rosa Wesen«, hieß die Überschrift. Milissa überflog die ersten Zeilen. Die Erzählung war genau so langweilig wie alle, die sie jemals zu lesen versucht hatte.
»Verzeihen Sie mir die Bemerkung, aber ich finde nichts Anstößiges an dem Text, Mr. Dellamon.«
»Diese Geschichte schildert die Siege und sadistischen Foltern einer Rasse grausamer rosa Wesen – und ihre Vernichtung durch Irdische. Sehen Sie sich doch das Bild auf dem Einband an! Eine genaue Abbildung von – nun, Sie sehen es ja selbst. Das ist Greuelpropaganda gegen mein Volk! Und alles ist erlogen! Alles!«
Das Umschlagbild glich tatsächlich dem gekränkten kleinen Fremden. Milissas Blick blieb an dem Datum unter dem Titelblatt haften. Juni 2114. Die Ausgabe war dreihundert Jahre alt. »Woher haben Sie das Heft?« fragte sie.
»Gekauft. Wenn ich schon zur Erde muß,
Weitere Kostenlose Bücher